La cordillera de los sueños Chile, Frankreich 2019 – 85min.

Filmkritik

Stumme Zeugen in Stein - unberührt

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Der Chilene Patricio Guzmán beschliesst seine «topografische Trilogie» über seine Heimat mit einem Erinnerungspanorama und Plädoyer gegen das Vergessen, in dem die Kordilleren (Anden) eine symbolträchtige Rolle spielen. Sie werden zu stummen Zeugen einer Leidensgeschichte, die Chile unter der Militärdiktatur Pinochets von 1973 bis 1988 erfahren musste. Ein Bildwerk über ein Kapitel schmerzhafter Zeitgeschichte.

Sie beherrschen Südamerika von Nord bis Süd: die Kordilleren (oder Anden), spanisch Cordillera de los Andes. Diese Gebirgskette erstreckt sich über 7500 Kilometer von Venezuela über Peru und Bolivien bis Argentinien und Chile. Der «Kordillere» umfasst 80 Prozent der chilenischen Landmasse. Fast unwirklich, unnahbar schroff und beherrschend, wuchten sich die Gipfel bis in 7000 Meter Höhe. Dieses Anden-Massiv rückt der chilenische Dokumentarfilmer Patricio Guzmán ins Bild.

Die Kamera schweift über kantige Hänge, tiefe Riffe und Geröll, dringt in Felsstrukturen, streift über Seen. «Diese gigantische Gebirgskette, die im Mittelpunkt meiner Betrachtung steht, ist für mich zu einer Metapher für das Unveränderliche geworden, für das, was bleibt und uns bewohnt, wenn wir denken, dass wir alles verloren haben», sinniert Guzmán. Diese Bilder dienen ihm als Projektionsfläche eines Volkes und seiner jüngsten Geschichte.

Der Filmer Guzmán drehte 1971 einen Film über das erste Regierungsjahr Salvador Allendes und arbeitete an der Trilogie La Batalla de Chile. Er wurde von den Schergen der Militärjunta 1973 inhaftiert und 15 Tage im Nationalstadion in Santiago de Chile festgehalten, das zu einem riesigen Gefängnis umfunktioniert worden war. Dank seiner spanischen Staatbürgerschaft konnte er ausreisen und seine Trilogie 1979 in Kuba vollenden. Er lebt seither in Paris.

Mit La cordillera de los sueños beendet der heute 78-jährige Regisseur seine Heimattrilogie. Mit Nostalgia de la luz (2010) über die Atacamawüste in Chiles Norden und El botón de nácar (2015) über Patagonien hat er seiner Heimat ein filmisches Vermächtnis gemacht. In seinem jüngsten Werk verschmilzt er wie erwähnt Landschaft und Menschen, Gegenwart und Vergangenheit. Er taucht in seine Kindheit ein, dokumentiert die kurze Allende-Phase, ruft Terror, Verfolgung und Knechtung durch die Militärdiktatur Pinochets in Erinnerung. Es sind schmerzhafte Rückblenden. Sein Film ist auch Trauerarbeit und Anklage gegen eine heutige Gesellschaft, die am liebsten verdrängt und die jüngste Geschichte nur vage aufgearbeitet hat. Allein die Kordilleren scheinen stumm und unberührt, Guzmán ist es nicht.

20.11.2019

4.5

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