Synonymes Frankreich, Deutschland, Israel 2019 – 123min.
Filmkritik
Der Hahn ist Französisch
Mit dem Identitätsdrama Synonymes hat der israelische Regisseur Nadav Lapid an der Berlinale 2019 den Goldenen Bären mit nach Hause genommen. Sein Film über einen Sinnsuchenden Israeli in Paris greift dann auch viele interessante Aspekte auf, hat aber kein wirkliches Ziel.
Synonymes beginnt vielversprechend: Der mittellose Yoav (Tom Mercier), gerade in Paris angekommen und in den lauschigen, vorweihnachtlichen Strassen umherirrend, findet irgendwann in einer unbewohnten Altbauwohnung Unterschlupf. Als sich der junge, attraktive Mann in der Badewanne der ungeheizten Wohnung aufzuwärmen versucht, stiehlt ihm jemand seine Kleider. Ein Glück, findet am nächsten Morgen ein junges Paar im selben Haus den beinahe erfrorenen Yoav und nimmt ihn zu sich ins Bett. Émile (Quentin Dolmaire) und Caroline (Louise Chevillotte), beide Mitte zwanzig und offenbar ziemlich wohlhabend, kümmern sich um den mysteriösen Kerl, teils aus Nächstenliebe, teils aus Neugier.
Yoav erzählt dann auch bereitwillig seine Geschichte: Er ist aus Israel geflohen, will seine Identität aber komplett ablegen, ab sofort Franzose sein, nur noch Französisch sprechen, weshalb er sich praktisch als erstes in der französischen Hauptstadt einen Dictionnaire kauft, aus dem er während dem Herumstreifen in Paris Wörter herunterrattert, bevorzugt mit gesenktem Kopf und bevorzugt Synonyme. Spätestens jetzt kommen auch beim Zuschauer viele Fragen auf: Was macht dieser junge Mann quasi als Flüchtling und völlig mittellos in Paris? Was bewegt ihn dazu, seine Herkunft ablegen zu wollen? Wieso gerade Frankreich?
Lapid beantwortet diese Fragen zwar in Ansätzen, lässt aber auch vieles – wohl sehr bewusst – offen. Das ist grundsätzlich interessant, weil man sich als Zuschauer aktiv die Hinweise zusammensuchen und schlussendlich irgendwie zusammenreimen muss. Synonymes reisst zahlreiche, darunter durchaus sehr spannende Motive auf: von Kriegstraumata, Terrorismus und Politik über die Sinnsuche in der Wohlstandsgesellschaft hin zur Frage, was Nationalität ausmacht, die gegen Ende in einer äusserst starken Szene in einer Integrationsstunde gipfelt. Zu viele Themen, um diese alle sinnvoll abhandeln zu können – was dem Film besonders in der zweiten Hälfte seinen Fokus nimmt und die Handlung dahinplätschern lässt, ohne dass er als Gesamtergebnis einen markanten Eindruck hinterlassen würde.
Nichtsdestotrotz ist man irgendwie vom rastlosen, undurchschaubaren Yaov – von Tom Mercier mit dem richtigen Fingerspitzengefühl zwischen Nähe und Distanz gespielt – fasziniert, wenn er zum Beispiel in einer Rückblende erzählt, wie er während des Militärdienstes in Israel im Takt von «Sympathique (Je ne veux pas travailler)» von Pink Martini Schiessübungen gemacht hat, oder sich stur weigert, je wieder seine Muttersprache zu sprechen. Und spätestens, wenn ihm der vom Wohlstand beinahe gelangweilte Émile, der Schriftsteller sein will, dafür aber zu wenig eigene Ideen hat, sagt, dass „Franzose sein zu wollen“ nicht genüge, versteht man, dass gewisse Dinge wohl doch zu komplex sind, damit ein klarer Fokus einfach so zum Ziel führen würde.
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