Filmkritik
Die Wunden von Manhattan
Mit Italienisch für Anfänger gelang der dänischen Regisseurin Lone Scherfig der internationale Durchbruch. Die Tragikomödie wurde auf der Berlinale 2001 mit dem Preis der Jury ausgezeichnet – damals war es das letzte Festival des damaligen Leiters Moritz van Hadeln. Jetzt, im letzten Jahr von Dieter Kosslick, eröffnete Lone Scherfigs neuer Film The Kindness of Strangers die Internationalen Filmfestspiele von Berlin.
Im Mittelpunkt steht die junge Mutter Clara, die mit ihren Söhnen Anthony und Jude aus Angst vor ihrem gewalttätigen Ehemann Richard in New York untertaucht. Ohne Geld und Ziel versuchen sie sich dort vor ihm zu verstecken und sich irgendwie durchzuschlagen. Denn weil Richard Polizist ist, kann sie sich keine offizielle Hilfe holen. Und so ist sie auf die Unterstützung von Fremden angewiesen – die ihr glücklicherweise immer wieder zum richtigen Moment über den Weg laufen.
The Kindness of Strangers wirkt auf den ersten Blick wie eine soziale Tragikomödie, entwickelt sich aber rasch zu einem modernen, romantischen Grossstadtmärchen. Denn auch wenn der Ausgangspunkt düster ist, wirklich bedrohlich ist die Situation von Clara nie. Immer wieder gibt es einen Anflug von schicksalhafter Fügung und schmusewarmem Humor. New York ist hier weder dreckig noch gefährlich: In einem exzentrischen russischen Edelrestaurant, in dem niemand kochen kann, schläft Clara mit den Kids unter dem Klavier, in einer Suppenküche für Obdachlose bekommt sie warmes Essen.
Eigentlich der ideale Ausgangspunkt für eine Erzählung über Mitmenschlichkeit, aber es gibt leider ein schwerwiegendes Problem: Denn in diesem leicht kitschigen Kosmos werden die Emotionen nur behauptet. Statt grosser Gefühle dominiert hier lediglich der Pathos des Streichorchesters, das permanent Emotionalität suggeriert. Und auch den Figuren fehlt es durchgehend an Tiefe. Zwar hat Scherfig versucht, ihnen besondere oder skurrile Wesenszüge auf den Leib zu schreiben, aber die Drehbuchideen erwachen auf der Leinwand nicht zum Leben, ihre Protagonisten bleiben eindimensional. So ist das Potential des Filmes zwar zu erahnen, aber der emotionale Befreiungstrip plätschert lediglich dahin. Entweder hätte das Märchenhafte viel mehr betonen oder verstärkt auf eine emotionale Dringlichkeit setzen sollen, aber so kommt The Kindness of Strangers unentschlossen und mutlos daher.
Dein Film-Rating
Kommentare
Lone Scherfig ist wieder mal eine Filmperle gelungen. Sie behandelt ein ernstes Thema: Mutter Clara (Zoe Kazan) muss vor dem gewalttätigen Ehemann Richard (Esben Smet) mit ihren beiden Buben Antony und Jude nach New York fliehen. Beinahe mittellos kommt sie an die Grenze ihrer Existenz. Doch mit Mutterwitz und Mutterliebe schlägt sie sich durch die feindliche Metropole.
Das erzählt Lone mit einer Portion Komik, die an echter Tragik immer wieder haarscharf vorbeischrammt und so entsteht eine menschlich dramatische Handlung, die echt unter die Haut geht. Und das ist bei einem Feel-Good Movie recht selten. Das Happy End ist nicht überzuckert, enthält wie gesagt nur einen Hauch von Romantik, der nach kurzer Zeit durch eine witzige Wendung ausgebremst wird. (Das Geschenk ist eine Badehose und die ist für später.)
Clara profitiert echt von der Freundlichkeit der Fremden. Die Gejagte kennt niemanden und selbst Richards Vater lehnt es ab, ihr zu helfen. Sie taucht in ein Umfeld hilfsbereiter Mitmenschen und kann so den Kopf immer gerade noch über Wasser halten.
Im Mittelpunkt er Hilfsoptionen steht der Hotelier Timofey (Bill Nighy). Aber auch untereinander lernen sich neue Freunde kennen und lieben: z.B. John (Jay Baruchel) und Mark (Tahar Raahm) im Stuhlkreis ‘Vergebung‘, den Krankenschwester Alice (Andrea Riseborough) leitet. Besonders liebenswert ist Jeff (C.L. Jones), das linkische Faktotum, dem nichts gelingt außer das wohlwollende Mitgefühl des Publikums einzuheimsen. Der gewalttätige Richard ist für die Verbreitung von Furcht und Schrecken zuständig.
Lones Drehbuch verheimlicht auch nicht, dass kleine Kinderseelen durch Verlust der Heimat Schaden nehmen können. Hier ist es vor allem der kleine Jude, dem es buchstäblich die Sprache verschlägt.
Märchenhafte Entwicklungen wie die Tatsache, dass John zufällig Anwalt ist und Alice alleinstehend ist leiten mit leichter Hand das Happy End ein. Wenn der Abspann läuft, bekommt man Lust auf ein zweites Anschauen. Man hat mitgelitten und ist nur erleichtert.
Schön, wenn es noch so liebe Leute gibt, die einem an sich fremd sind.… Mehr anzeigen
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung