Volunteer Schweiz 2019 – 93min.
Filmkritik
Zwischen Flucht und Alltag
Die Filmemacher Anna Thommen und Lorenz Nufer porträtieren in Volunteer einfache Schweizer Bürger, die ihr Leben in den Dienst der Flüchtlingshilfe stellen.
Betroffen von der Flüchtlingswelle reisen sie ab 2015/16 auf die griechische Insel Lesbos, um den ankommenden Geflüchteten beizustehen. Sie zeigen Verantwortung in einer humanitären Ausnahmesituation, für die niemand verantwortlich sein will. Das Elend und Leid, das die Flüchtlingshelfer in den heillos überfüllten Lagern und direkt am Strand erleben, prägt sie. Trotz der ernsten und aufwühlenden Thematik besticht die Dokumentation durch erzählerische Ruhe und Besonnenheit. Ein Grund dafür sind die zwischen die dramatischen Szenen in Griechenland eingebauten, teils sehr ausführlichen Interviewpassagen. Darin äussern sich die (insgesamt sechs) Flüchtlingshelfer sehr offen und äusserst reflektiert über das Erlebte.
Volunteer ist inhaltlich zweigeteilt. Die erste Stunde zeigt Aufnahmen aus den Flüchtlingslagern auf Lesbos sowie im nordgriechischen Idomeni. Thommen und Nufer begleiten die Schweizer Helfer, darunter die Tierärztin Sarah Hirschi-Gerber, die Politikerin Lisa Bosia und den Entertainer Michael „Grosi“ Grossenbacher, bei ihrer Arbeit. Eine lebensrettende Arbeit, die aus notwendiger und unerlässlicher (Not-)Hilfe für Menschen besteht, die alles verloren haben.
Es sind die Bilder der verwirrten Flüchtlinge, der elternlosen Kinder und der katastrophalen Zustände in den Lagern, die sich als besonders einprägsam und beklemmend erweisen. Zwar zeigen viele Szenen die Zustände von vor drei oder vier Jahren – da durch die jüngste Grenzöffnung der Türkei eine erneute Flüchtlingskrise unmittelbar bevorsteht, könnten diese Impressionen jedoch aktueller nicht sein.
Im letzten Drittel verfolgen wir das Leben der Helfer in der Schweiz. Der Film zeigt sie in ihrem Alltag und beim Versuch, die Geschehnisse zu verarbeiten. Es geht darum, zurück ins „normale Leben“ zu finden. Nicht allen Protagonisten kommt man dabei gleichermassen nah. Es wäre vermutlich ratsam gewesen, sich auf nur drei oder – maximal – vier porträtierte Personen zu konzentrieren.
Dennoch fangen Thommen und Nufen auch in diesem Teil ihres Films durch genaue Beobachtungen wahrhaftige, zutiefst menschliche Momente ein. Etwa wenn „Grosi“ bei einer von ihm moderierten Veranstaltung hinter den Kulissen extrem gedankenverloren, fast bedrückt wirkt. Vielleicht schiessen ihm in dieser Sekunde die Ereignisse aus Griechenland in den Kopf. Oder wenn die Helferin Ileana Castelletti zurück in der Schweiz ein bisschen Ruhe und Ausgleich an einem idyllischen Seeufer sucht. Nicht zuletzt diese intensiven, besonderen Gegensätze zwischen heimischem Alltag und Ausnahmesituation im Krisengebiet sind es, die Volunteer empfehlenswert machen.
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