After Love Frankreich, Grossbritannien 2020 – 89min.
Filmkritik
Jenseits des Ärmelkanals
«After Love», der erste Spielfilm des britischen Filmemachers Aleem Khan, führt uns durch einen Thriller, der die Geschichte eines Doppellebens jenseits der britischen Gewässer erzählt. Ein erstaunlicher Film.
Mary Hussain (Joanna Scanlan), die wegen ihres Mannes Ahmed zum Islam konvertiert ist, führt ein zurückgezogenes Leben in der Hafenstadt Dover im Südosten Englands. Mit Blick auf die Nordsee lebt sie im Rhythmus der Gebete und dem Kommen und Gehen ihres Mannes, eines Seemanns, der regelmässig in die französischen Gebiete pendelt. Doch als er stirbt, entdeckt Mary sein geheimes Leben: Eine Familie in Calais. Nur wenige Meilen trennen sie von der Wahrheit, also begibt sie sich auf eine Reise, um sie zu verstehen und ihr vor Ort zu begegnen.
Aleem Khan, der für seinen Kurzfilm «Three Brothers» mit einem BAFA ausgezeichnet wurde, ist ein bezaubernder erster Film gelungen. «After Love», der 2020 von der «Semaine de la Critique» in Cannes ausgewählt wurde, erzählt über Marys Irrwegen bzw. über ihre Suche nach der Wahrheit, um das geheime Leben ihres Mannes zu verstehen. Sie ist sehr früh zum Islam konvertiert, um ihren aus Pakistan stammenden Mann zu heiraten, trägt einen Schleier und spricht Urdu. Mit minutiöser Aufmerksamkeit lässt Aleem Khan die Hingabe dieser Frau sichtbar werden. Die Kamera macht sich zum intimen und privilegierten Zeugen dieses frommen Lebens. Und in einer von Stille betäubenden Eröffnungssequenz hört man nur den Wasserkocher, der den Todeszeitpunkt bescheinigt. Mary war in der Küche, Ahmed ist gestorben, einfach so.
Eine Welt bricht immer dann zusammen, wenn ein neues Zeitalter anbricht. Ein paar romantische Textnachrichten und ein vergessener Ausweis; in «After Love» ist die Natur im Einklang mit Marys Schwindel. Währenddessen sie das trübe Doppelleben ihres Ehepartners entdeckt, geht ihre Welt Schritt für Schritt unter. Mary reist nach Calais, um die von Nathalie Richard verkörperte Geneviève zu treffen. Da entdeckt sie eine Familie, die von der Abwesenheit des Vaters und der Last des fernen Geliebten betäubt ist. Das Geheimnis war abgrundtief und muss verarbeitet werden. Mary handelt undercover und Aleem Khan erzählt uns von sozialen Schichten und den komplexen Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen. Es entwickelt sich ein Spiel der Täuschungen, ein erstickender, gefährlicher Krabbenkorb. Die beiden Frauen beobachten und beneiden sich gegenseitig. Und Solomon (der berührende Talid Ariss, der Ahmeds französische Sohn spielt) befindet sich inmitten des Zirkus. Der Teenager ist nur ein orientierungsloser junger Heranwachsender, der versucht, sich selbst aufzubauen.
Der Film folgt den Phasen der Trauer, kann aber leider in seinen Wutausbrüchen nicht wirklich überzeugen. Dafür glänzt der Film an anderen Stellen, indem er in die Fussstapfen des berühmten Films «Der talentierte Mr. Ripley» tritt. «After Love» ist ein Psychothriller und eine traumhafte Fabel über Trauer, Selbstverleugnung und die Fesseln, in die sich Menschen begeben, seien sie religiös, ehelich oder liebesbezogen. Hier legt Aleem Khan den Grundstein für ein anspruchsvolles Kino und eine ehrgeizige Inszenierung. «After Love» überrascht mit einer sanften Poesie über Joanna Scanlan, eine Frau, die letztendlich erfahren möchte, was es nach der Liebe gibt.
Übersetzung aus dem Französischen von Théo Metais durch Alejandro Manjon.
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