Charter Dänemark, Norwegen, Schweden 2020 – 94min.
Filmkritik
Eine Mutter ohne Kinder
Charter zeigt die Geschichte einer Frau, die das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren droht und mit ihnen in die Kanaren abtaucht. Selber ein Scheidungskind, fordert uns Regisseurin und Drehbuchautorin Amanda Kernell zu hinterfragen heraus, was es bedeutet, für seine Kinder zu kämpfen – und ob es einen Punkt gibt, an dem man einfach aufgibt.
Kritik von Laia Meier
Nachdem sie ihre Kinder verlassen hat und dabei ist, das Sorgerecht zu verlieren, bekommt Alice (Ane Dahl Torp) einen besorgniserregenden Anruf ihres Sohnes und reist augenblicklich zu ihrem ehemaligen Zuhause im Norden von Schweden zurück. Ihre Versuche, alleine mit ihren Kindern zu sprechen, werden von allen unterbunden. Alice sieht keinen anderen Weg als ihre Kinder nach Teneriffa zu entführen und dort zu versuchen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen.
In der kanarischen Landschaft, neben dem aufgewühltem Ozean und an goldigen Sandstränden, tastet Alice sich langsam an ihre Kinder heran, und Bruchstücke ihrer vorherigen Beziehung scheinen zurückzukommen. Alice kommt aber zunehmend unter Druck, weil die Medien von der Entführung Wind bekommen und die Polizei ihr dicht auf den Fersen ist.
Charter ist eine feinfühlige und sinnliche Darstellung über die Liebe von einer Mutter zu ihren Kindern, über Verrat und Vergebung. Ein Spiel zwischen Freiheit und Gefahr, Endgültigkeit und Hoffnung. Amanda Kernell erfindet keineswegs eine Geschichte aus heiterem Himmel. Wie schon bei ihrem preisgekrönten Spielfilmdebüt Sami Blood (2016) basieren die Ereignisse in ihrem Film auf sorgfältiger Recherche. Kernell interviewte Elternteile, die das Sorgerecht für ihre Kinder verloren, Mütter, die ihre Kinder entführten und Eltern, die sich gegen ihre Kinder entschieden.
Kernell findet in der norwegischen Schauspielerin Ane Dahl Torp Qualitäten dieser Mütter: eine Ausstrahlung, die verunsichert und zugleich verzaubert, einen Kampfgeist, der vor nichts Halt macht. Die Regisseurin arbeitet mit viel Liebe fürs Detail. So haben zum Beispiel die Kinderschauspieler ebenfalls getrennte Eltern, womit eine Authentizität erreicht wird, die kaum vergleichbar ist. Kernell erzählt eine Geschichte, die diesem immer aktuelleren Thema der Scheidungsfamilie mehr als gerecht wird.
Mit gewaltigen Naturbildern und symbolischen Elementen schafft dieses Schwedische Drama einem Gefühle zu übermitteln, die nicht mit Worten beschrieben werden können. Durch gekonnt gesetzte Lücken lässt Kernell das Publikum schlussendlich aber selber entscheiden, ob Alice hart genug kämpft, ob ihr verziehen werden kann und ob eine Mutter, die ihre Kinder verlässt, überhaupt eine Mutter ist.
Amanda Kernell inspiriert die Zuschauer, eine neue Sicht zu entwickeln auf etwas, worüber man vorher zu schnell geurteilt hätte. Sie zeigt die komplexe Beziehung zwischen Mutter und Kind, die Position der Kinder zwischen zwei sich trennenden Eltern und stellt die Frage nach dem Recht, sich selbst retten zu dürfen – auch wenn es das Ende einer Familie bedeutet.
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