Garçon chiffon Frankreich 2020 – 110min.
Filmkritik
Garçon chiffon
Für seine Schauspielarbeit erst kürzlich als einer von zehn europäischen Shootingstars geehrt und nun mit seinem Langfilmdebüt als Regisseur im Kino vertreten: Nicolas Maury legt mit «Garçon chiffon» eine eigenwillige Mischung aus Drama und Komödie vor, die von einem jungen Mann in einer Sinn- und Lebenskrise erzählt.
Jérémie Meyer – verkörpert vom Regiedebütanten höchstpersönlich – sucht händeringend einen neuen Schauspieljob. Die Miete zahlt sich schliesslich nicht von selbst. Wie so oft im Filmgeschäft gehen vermeintlich offene Türen aber urplötzlich wieder zu. Gespür für absurde zwischenmenschliche Begegnungen und die zum Teil skurrilen Branchenauswüchse beweist Maury schon sehr früh, wenn der von ihm gespielte Darsteller im Gespräch miteinem Regisseur (Jean-Marc Barr) eine unerwartete und deshalb schmerzliche Rollenabsage erhält. Sein Gegenüber verpackt das Ganze kurioserweise so, als sei er am Ende derjenige, der aufgrund der Entscheidung am meisten leiden würde.
Die verzweifelte Suche nach einem Engagement ist jedoch nicht das einzige Problem von Jérémie, den wir zunächst im Kreise einer Selbsthilfegruppe für krankhaft eifersüchtige Menschen kennenlernen, die er schlagartig wieder verlässt. Der junge Mann ist schrecklich kontrollsüchtig und belastet mit dieser Eigenschaft seine Beziehung zu Tierarzt Albert (Arnaud Valois), der ihn nach einem hartnäckigen Verhör über ein spermabeflecktes T-Shirt kurzerhand vor die Tür setzt und eine Auszeit verlangt.
Um seinen Kopf freizubekommen, fasst der schwer getroffene Jérémie den Entschluss, Paris vorübergehend zu verlassen und seine Mutter Bernadette (Nathalie Baye) zu besuchen. Gerade jetzt steht zudem eine kleine Gedenkfeier für seinen Vater an, der sich vor kurzem das Leben genommen hat. Den Aufenthalt in der Heimat will der strauchelnde Mime auch dazu nutzen, sich auf einen Theaterpart vorzubereiten, den er unbedingt ergattern möchte:Gemeint ist die Rolle des Moritz aus Frank Wedekinds «Frühlings Erwachen». Eine Figur, das sagen ihm diverse Menschen, die Jérémie sehr stark ähnelt.
«Garçon chiffon» ist anfangs schwer zu fassen. Wohin die Reise geht, vermag man erst einmal nicht zu sagen. Der Film könnte davon handeln, wie Jérémie es schafft, in der Selbsthilfegruppe Fuss zu fassen. Ebenso gut wäre eine tief in das Filmbusiness eintauchende Satire denkbar. Und auch eine Stalking-Geschichte scheint im Bereich des Möglichen. Die tonale Bandbreite ist gross. Traurige Aspekte stehen neben lustigen und abgründigen. Erschwert wird der Zugang überdies durch einen manchmal anstrengenden Protagonisten, der sich nicht nur vor der Kamera oder auf der Bühne in Theatralik ergeht.
Die Hauptfigur hätte leicht zu einem Clown mutieren können. Maury schafft es allerdings, Jérémies zuweilen kindischen Eifer, sein riesiges Kränkungsempfinden, seine tiefsitzende Unsicherheit und seine Sehnsucht nach echter Liebe und Geborgenheit eindringlich herauszuarbeiten und so eine komplexe, ernst zu nehmende Persönlichkeit zu erschaffen.
Zwischendrin gibt es Episoden, die leicht deplatziert erscheinen und ins Leere laufen, «Garçon chiffon» hält für das Publikum gleichzeitig jedoch eine Reihe an denk- und erinnerungswürdigen Momenten bereit. Szenen, die herrlich schräg anmuten – etwa den Rundumschlag einer unter Druck stehenden Regisseurin (Laure Calamy), die Jérémie als ihren Schauspielcoach verpflichten will. Oder aber Passagen, die emotional berühren. Zum Beispiel eine Unterhaltung, in der Bernadette ihrem Sohn offenbart, wie sehr ihr Ex-Mann, sein Vater, sie verletzt hat. Auch wenn der Spagat zwischen Komik und Tragik nicht immer gelingt, zeichnet das Debütwerk ein Charakterporträt mit Ecken und Kanten, das am Zuschauer nicht spurlos vorbeirauschen dürfte.
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Kommentare
"Nicolas Maury hat einen sensiblen und gelungenen Erstlingsfilm vorgelegt." - 20'
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