Madeleine Collins Frankreich 2020 – 108min.
Filmkritik
Die mit den vielen Namen
Der neue Film von Antoine Barraud, der 2017 bereits für sein Drehbuch ausgezeichnet wurde, kündigte sich als grosser Thriller nach französischem Vorbild an. Zwar glänzt diese französisch-belgisch-schweizerische Koproduktion nicht durch ihre Inszenierung, dennoch sticht sie dank des Talents ihrer Hauptdarstellerin Virginie Efira und den psychologischen Mäandern ihrer Figur hervor.
Judith Fauvet (Virginie Efira) hat in Frankreich bereits eine Familie: ihren Ehemann Melvil (Bruno Salomone) und ihre beiden Kinder. Bei diesen ist sie aber nur drei Tage in der Woche, um den Rest bei ihrem Geliebten Abdel Soriano (Quim Gutiérrez) und ihrer Tochter Ninon in der Schweiz zu sein. Mit dem Überqueren der Grenze ändert sich auch ihr Name zu Margot Soriano, ungeachtet von den Konsequenzen, den sie ihren Lieben und sich selbst zufügt. Als ihr Geliebter sie vor die Wahl stellt, ist Judith hin- und hergerissen zwischen den Leben, die sie sich aufbaut, stiehlt oder fantasiert.
Sie läuft vor sich selbst davon. Zwischen zwei Ländern, hin und her, auf einer imaginären Reise, wie sie es ihren immer weniger gutgläubigen Kindern erzählt. Schon bald, weiss sie nicht mehr, welchen Namen sie nennen soll, wenn sie danach gefragt wird. Judith weiss nicht, mit wem sie zusammenbleiben will, da sie das Unbekannte und das Risiko vorzieht, bis sie sogar ihre Identität und ihren Status in ihren Beziehungen vergisst.
Mit dem Film «Madeleine Collins», dessen Titel an den Codenamen einer Spionin erinnert, obwohl es sich nur um ein Fantasiename handelt, zeichnet der Regisseur und Drehbuchautor Antoine Barraud das Porträt einer verwirrten Frau, einer Antiheldin, die ihren Platz sucht. Ihre Lebensfragmente werden dem Publikum Stück für Stück angeboten, um die Ursache ihrer Störungen zu verstehen. Judiths Verhalten schwankt zwischen einem Raubtier, das seine Beute imitiert und einer verletzten Frau, die sich hinter dem Leid einer anderen verbirgt.
Die Wendungen, die eher einem Drama als einer Ermittlung ähneln, ziehen uns in ihren Bann, während wir uns in die Emphase von Judith begeben, um uns mit ihr in ihren eigenen Lügen zu verlieren. Doch während das Drehbuch zu Recht preisgekrönt ist, gilt dies nicht für die Inszenierung, die mit ihrer glutroten Eröffnung eines Balletts, das sich zur Tragödie wandelt, einen Höhepunkt zu erreichen versprach, doch man muss feststellen, dass sie die Qualen und Handlungen der Figuren ungeschickt hervorhebt und von einer unangemessenen Bildsprache begleitet wird. Ausserdem macht sie sogar das Ende antiklimatisch, obwohl das Gegenteil für den Orkan Judith, Margot oder Madeleine nötig gewesen wäre, die wie eine Flüchtige wieder auf die Strasse geht und endlich bereit ist, weiterzugehen.
Letztendlich ist die einzige Wahrheit, die ans Licht kommt, die der Gefühle, die während des gesamten Films von einer Virginie Efira in einer ihrer besten Rollen und in einer Schlüsselszene von Jacqueline Bisset, Judiths Mutter, vermittelt werden. Auch wenn «Madeleine Collins» kein grosser Film ist, erinnert er dennoch an das französischsprachige Know-how in der Filmerzählung und kann andere ambitionierte Thriller darin ermutigen, ihren Weg zu gehen.
Übersetzung aus dem Französischen von Eleo Billet durch Zoë Bayer.
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