Kühe auf dem Dach Schweiz 2020 – 80min.
Filmkritik
Risse in der Älpler-Idylle
Aldo Gugolz Dokumentarfilm über einen Tessiner Älpler trägt von der Realität überrollt Züge eines Krimis.
Im Frühsommer 2017 ist auf Alpe d’Arena im Onsernonetal die Welt in Ordnung. Die Schweine suhlen sich im Freien, die Ziegen ziehen über die Wiesen. Fabiano, als Kind Deutschschweizer Hippies im Tessin aufgewachsen, führt die Alp in zweiter Generation und produziert Ziegenkäse. Seine Frau Eva ist schwanger. Man lässt sich wenig beeindrucken von Gewittern und Regen, endlosen Tagen und steilen Hängen: Die ersten Bilder zeugen von idyllischem Aussteigerdasein.
Doch als nach einigen Wochen der Name eines Mannes publik wird, dessen Leiche im Mai im Valle di Vergeletto gefunden wurde, bekommt die Idylle Risse: Fabiano hatte den Mazedonier Nicola Hadziev im Jahr davor illegal auf seiner Alp beschäftigt und sein plötzliches Verschwinden damals nicht gemeldet. Fabiano wird befragt.
Obwohl sein Name in den Medien nicht auftaucht, weiss jeder, wo Hadziev gearbeitet hat und man beginnt zu tuscheln. Auch quälen Fabiano Gewissensbisse: Er, der aus einem Hippiehaushalt stammend immer wieder unvoreingenommen Fremde bei sich aufnimmt, sieht sich plötzlich in einer ihm ungeheuerlichen gesellschaftlichen Schuldigkeit.
Und das ist bloss der Anfang. Denn auch das Leben mit Eva und dem Ende des Sommers geborenen Sohnes stellt Fabiano vor neue Herausforderungen. Man braucht ein solides Dach über dem Kopf und ein Einkommen, das sich mit Käse allein nicht erwirtschaften lässt. Dazu kommen Schwierigkeiten, die anklingen, wenn Eva Sätze sagt wie: „Hier oben steht alles, was schön ist, auf dünnem Eis“, und dass sie manchmal überlege, ob es irgendwann zu spät sein werde, einfach ihre Sachen wieder zu packen …
Aldo Gugolz kennt die Alpe d’Arena seit 30 Jahren. Als Fabiano die Alp übernahm, beschloss Gugolz zusammen mit seiner Frau (Susanne Schüle, Kamera) einen Film zu drehen über die eingeschworene Männergesellschaft, die Fabiano damals um sich geschart hat. Bei Beginn der Dreharbeiten im Sommer 2017 allerdings hatte sich Situation radikal verändert. Eva brachte neuen Wind auf die Alp und Fall Hadziev nahm immer mehr Züge eines Krimis an.
„Kühe auf dem Dach“ besticht durch eine ausbalancierte Feinfühligkeit, die dem Regisseur ermöglicht, die utopischen Ideale seines Protagonisten zu hinterfragen und zugleich das Funktionieren einer von globalisiertem Wirtschaftsdiktat ebenso wie von lokaler Enge geprägten Gesellschaft zu schildern. Damit eröffnet der Film den nüchternen Blick auf eine Realität, die im Schweizer (Heimat-)Filmschaffen leider (allzu) oft verklärt wird.
Dein Film-Rating
Kommentare
Sehr schöner Film. Geht achtsam mit allen Figuren um und zeigt, wie prekär und nahe sich Traum und Alptraum sind. Deutlich spürbar das grosse Vertrauen in den Regisseur. Film, der genau hinschaut, Kamera geht nahe hin zu den Menschen und schafft Nähe. Sehr empfehlenswert.
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