Réveil sur Mars Frankreich, Schweiz 2020 – 75min.
Filmkritik
Warten auf bessere Zeiten
Dea Gjinovci erzählt aus dem Leben einer Familie aus dem Kosovo, die in Schweden auf ihren Asylentscheid wartet. Derweil die beiden Söhne der Familie zur Schule gehen, kümmern sich die Eltern um ihre 16- und 17-jährigen Töchter, die seit über drei Jahren komatös vor sich hindämmern. Die schwedische Ärztin bezeichnet deren Zustand als „Resignation-Syndrom“.
Furkan Demiris ist ein aufgeweckter Zehnjähriger. Er kommt aus dem Kosovo, lebt mit seiner Familie aber im schwedischen Horndal, in einem Viertel, in dem keine Schweden, sondern lauter Menschen wie Furkan leben: Immigranten aus aller Welt. Die Familie Demiris ist nach einer ersten Ausweisung und der Rückkehr in ihre Heimat erneut nach Schweden geflohen. In Kosovo seien die Mauern verschmiert worden, habe man aus Fenstern Steine geworfen und sei mit Messern in ihr Haus eingebrochen; andeutungsweise nur wird erzählt, was der Familie, die einer ethnischen Minderheit angehört, in ihrer Heimat widerfuhr.
Aktuell haben die Demiris andere Sorgen. Ihre Töchter Ibadeta und Djeneta, 16, bzw. 17 Jahre alt, sind vor über drei Jahren nacheinander immer apathischer geworden. Schliesslich fielen sie in eine Art Koma; einzig anhand der Atmung – des Schnarchens – lässt sich unterscheiden, ob sie schlafen oder wach sind. In Kosovo hatten die Ärzte für diesen Zustand keine Bezeichnung. In Schweden allerdings sind zur Jahrtausendwende die ersten Fälle von Jugendlichen bekannt geworden, die in einen Art Dornröschenschlaf fielen, fachmedizinisch wird dieser Zustand als „Resignation-Syndrom“ bezeichnet.
Irgendwann, sagt die Ärztin, welche bei der Familie vorbeischaut und die Mädchen untersucht, würden diese wieder erwachen. Bis dahin kann man nichts anderes tun als warten. Und so warten die Demiris also: Auf einen hoffentlich positiven Entscheid der Asylbehörde und die Rückkehr ihrer Töchter.
Dea Gjinovcis stellt mit „Réveil sur Mars“, weder ein Flüchtlingsdrama noch eine medizinische Fallgeschichte vor. Sie erzählt nicht immer, aber oft aus der Sicht von Furkan, der bei allen Erwachsenensorgen, die ihn umgeben, ein Kind bleibt. Zur Schule geht, sich im Freien herumtreibt und mit Fundstücken vom Autofriedhof eine Rakete baut, in der er seine Schwestern zum Mars fliegen will. „Réveil sur Mars“ ist ein geduldig beobachteter, einfühlsamer und berührender Film, in dem es der Regisseurin mit leichter Hand und wohltuender erzählerischer Gelassenheit gelingt, gesellschaftspolitisch schwierige und schwere Themen abzuhandeln.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung