Harald Naegeli - Der Sprayer von Zürich Schweiz 2021 – 97min.
Filmkritik
Porträt eines Querulanten
Harald Naegeli ist damals dem Ruf des «brennenden Zürich» gefolgt und hat mit seinen Graffiti an den Wänden der Stadt Taten sprechen lassen gegen einengende, konservative Gesellschaftsordnungen. Bisher ist er nicht verstummt. Der Dokumentarfilm von Nathalie David zeigt den Querulanten, wie er selbst in seinem 80. Lebensjahr noch keine Angst vor der Konfrontation mit den Behörden hat.
Harald Naegeli ist heute 80 Jahre alt. Von ihm ging Ende der 1970er Jahre der Impuls aus, mit Graffiti politische Kommentare in den öffentlichen Raum zu platzieren. Damals wie heute streiten sich die Geister und auch ganz konkret eine Vielzahl von Behörden darüber, ob die Werke des Zürcher Sprayers Kunst oder doch nur Sachbeschädigung seien. Naegelis Markenzeichen sind menschliche oder tierische schlanke Figuren, die auf den Fassaden, meist in Schwarz, herumtänzeln. Besonders bekannt ist die Totentanzserie, in der der Sensenmann einem fröhlich mit ausgestreckten Gliedern entgegentritt. Erinnern soll er an die Sterblichkeit des Menschen und damit an die Nichtigkeit kapitalistisch geprägter, überbürokratisierter und schliesslich leistungsorientierter Gesellschaftsstrukturen. Dazu passt ein weiteres häufiges Motiv von Naegeli, nämlich die Wanze, die für ihn den Staatsbeamten und dessen parasitäre Natur repräsentiert.
Der Dokumentarfilm von Nathalie David setzt in der Gegenwart ein und zeigt den Zürcher, der in den 1980er Jahren, nachdem die Schweiz ihn damals per internationalen Haftbefehl aus seinem Exil in Lübeck in die Heimat überführen liess, wo er eine sechsmonatige Gefängnisstrafe verbüsste, nach Deutschland emigrierte und nun im hohen Alter «zum Sterben» nach Zürich zurückgekehrt ist, als älteren Mann mit jungem Geist. Im Vordergrund stehen die Gespräche, die die Regisseurin mit Naegeli geführt hat, und viele Bilder seiner Arbeiten auf Papier oder auch auf Beton. Da die Graffiti über kurz oder lang verschwinden, leistet der Film in dieser Hinsicht eine wichtige dokumentarische (Fleiss-)Arbeit. Und in letzterem liegt auch seine Stärke. Denn leider fällt das Werk in der Aufarbeitung des verfügbaren Materials sonst nicht durch eine besondere Originalität in Form und Herangehensweise auf.
Gerade der Versuch, die Zitate aus der Korrespondenz von Naegeli grafisch auf der Leinwand umzusetzen, wirkt unbeholfen, auch wenn die von leuchtenden Farben eingerahmten Schriftzügen vermutlich an die Street Art-Ästhetik erinnern sollen. Von Seiten des Produzenten Peter Spoerri ist dem Film sichtlich ein besonderer Eifer vorangegangen, möglichst viel Material über Naegeli zu sammeln, um ihm dieses Porträt widmen zu können. So erfährt der Zuschauer ein paar interessante Einzelheiten zu den verschiedenen Klagen wegen Sachbeschädigung, die seine Aktionen ihm eingebracht haben, doch die filmische Aufbereitung ist fast so trocken, wie das Studium der Gerichtsakten gewesen wäre. Gegen Ende erringt sich der Film dann noch einmal mehr Aufmerksamkeit, wenn es um die jüngsten Skandale in Sachen Naegeli geht, die einen kopfschüttelnd zurücklassen angesichts des Masses an Absurdität, die unsere Bürokratisierung annehmen kann.
Auch wenn man gut daran tut, etwas Vorwissen mitzubringen, bevor man sich auf den Film einlässt, lohnt es sich, dem Sprayer von Zürich dabei zuzuhören, wie er stolz über sein Werk spricht. In Erinnerung bleibt auf jeden Fall das herzliche, bübische Lachen Naegelis. Passend auch das eigens für den Film komponierte, ziemlich suggestive Lied von Sophie Hunger.
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