Les Choses Humaines - Menschliche Dinge Frankreich 2021 – 138min.
Filmkritik
Wenn es Keine Wahrheit geben kann
Nachdem ihr Bilderbuchsohn Alex von Harvard zurückkehrt finden sich seine Eltern - eine Essayistin (Charlotte Gainsbourg) und ein Fernsehmoderator - bald in einem öffentlichen Debakel wieder. Ihr Sohn soll die junge Mila an einer Abschlussparty vergewaltigt haben. Eine Anklage, die das Schicksal zweier Familien für immer verändert.
Alexandre Farel, gespielt von Ben Attal, kehrt nach Paris zurück. Er ist gutaussendend, jung, intelligent, privilegiert, charmant. Sein Vater, ein berühmter Fernsehmoderator, hat keine Zeit für ihn. Seine Sprache der Liebe: das Geld, und von Alex, nicht verstanden. Claire Farel auf der anderen Seite, die feministische Essayistin, hat eine liebevolle Beziehung zu ihrem Sohn. Sie stellt ihn stolz ihrem neuen Partner Adam und dessen Tochter Mila vor. Mila ist fasziniert von Alex und freut sich, dass er sie auf sein Klassentreffen in der Stadt mitnimmt. Zusammen sitzen sie in der U-Bahn und hören Musik.
Dann verändert sich die Erzählung. Wir sehen Alex’ Seite der Geschichte am nächsten Morgen. Was am Klassentreffen passiert ist, wissen wir nicht. Während Alex auf seinem Laufband trainiert, kommt die Polizei ins Haus. Er wird auf das Revier mitgenommen. Die Anklage: Vergewaltigung.Die Klägerin: Mila.
Die Beziehung von Adam und Claire ist augenblicklich unwiderruflich zerstört. Sie können nicht an eine andere Wahrheit glauben als die ihrer Kinder und diese zwei Wahrheiten zerstören einander gegenseitig.
Yvan Attal (Regie) und Yaël Langmann (Drehbuch) erzählen den Vorfall durch zwei Perspektiven. Wir folgen Alex nach seiner Festnahme, seine Gespräche mit seinem Anwalt und der Vorbereitung auf das Gerichtsverfahren. Milas Geschichte beginnt im Taxi, auf der Rückkehr vom Klassentreffen. Wir folgen ihr wie sie es ihrer Mutter erzählt, wie sie zur Polizei geht, ihre ganze Geschichte erzählen muss. Wie sie in vielen Punkten mit Alex’s Erzählung übereinstimmt. Und in anderen total widerspricht. Mit ihr durch diesen Prozess zu gehen ist schrecklich. Und dies ist erst der Anfang.
Claire und ihr Ex-Mann kommen sich durch die Anklage ihres Sohnes wieder näher. Sie müssen beide daran glauben, dass ihr Sohn unschuldig ist. Er ist davon überzeugt, oder es ist ihm egal, Hauptsache sein Sohn gewinnt das Verfahren.
Claire verliert einen Teil von sich selber, so sagt sie es auch aus am Gerichtstag: Claire Fairel, die feministische Aktivistin ist tot. Sie ist nur noch Mutter. Die Spannung dieser zwei Personen in sich selber war unaushaltbar.
Was mich besonders trifft bei «Les choses humaines» ist diese Hoffnungslosigkeit. Es kann kein Happy End geben. Für niemanden. Beim Gerichtsverfahren, wird diese exakte Darstellung der normalisierten Grausamkeit, wie Menschen miteinander umgehen, auf den Höhepunkt gebracht. Nichts ist vor einem Angriff sicher. Alle Mittel sind erlaubt.
Es gibt keine Wahrheit. Keine Lösung.
Die Frage nach der Schuld wird neu aufgegriffen. Mehr als die Schuld vom einzelnen zu behandeln, zeigt «Les choses humaines» dass es sich hier um ein gesellschaftliches Problem handelt. Ein systematischer Fehler. Der mit dem Handeln von einzelnen nicht entgegen zu kommen ist.
Filmkritik von Laia Meier
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