Mitholz Schweiz 2021 – 80min.
Filmkritik
Hoch explosiv!
Ein kleiner Ort im Berner Oberland macht seit mehreren Jahren Schlagzeilen: «Mitholz» soll geräumt werden, da sich im Felsen Tausende Tonnen von Munition befinden, die jederzeit zu explodieren drohen. Der Dokumentarfilm von Theo Stich berichtet, wie die Einwohner mit der heiklen Situation umgehen.
«Mitholz» ist ein Dorf im Berner Oberland. Die Einwohnerzahl beläuft sich auf beschauliche 160 Menschen. Die meisten von ihnen sind Bauern und leben seit Generationen hier, andere haben sich den Ort für einen friedlichen Lebensabend ausgesucht, wie das ältere Ehepaar, das man am Fenster eines der niedlichen im Chaletstil gebauten Häuser sieht. Doch der Frieden ist getrübt, denn 2018 kommt vom Verteidigungsdepartment ein beunruhigendes Schreiben: In der Felswand am Rande des Dorfes ist eine grosse Menge Munition gelagert, die geborgen werden muss. Da Explosionsgefahr besteht, muss die Umgebung evakuiert werden. Die Aufregung ist gross.
In «Mitholz» wurde zwischen 1940 und 1945 ein grosses Munitionslager der Armee in einer Felskaverne angelegt. Nachdem 1947 ein Teil der Kaverne explodiert war und Zerstörung sowie mehrere Todesfälle verursacht hatte, glaubte man sich in «Mitholz» fortan in Sicherheit. Wie es genau dazu kommen konnte, dass man 7000 Tonnen Munition seitdem einfach im Felsen liegen liess, weiss heute keiner zu beantworten.
Was wie die Handlung eines Actionfilms klingt, ist für die Menschen in «Mitholz» bittere Realität. In seinem Dokumentarfilm beschreibt Theo Stich deren Angst, ihr Hab und Gut zu verlieren. Zu Wort kommen ältere wie jüngere Personen, die jeweils eine andere Sicht auf den bevorstehenden Wegzug haben. Die pensionierte Lehrerin sieht sich entmündigt und fällt in einen panikähnlichen Zustand, während die junge Familie, die in «Mitholz» einen Bauernhof betreibt, sich für einen Neuanfang an einem anderen Ort eher gewappnet fühlt. Was bei allen Befragten vorherrscht, ist eine gewisse Skepsis gegenüber der Behörden, von denen sie sich hinters Licht geführt glauben. «Man sagte uns, es seien Teigwaren, die uns bei einer Lebensmittelknappheit ernähren sollten», berichtet eine Einwohnerin.
Einen Eindruck über die Komplexität des Falles gibt der Film auch schon deswegen, weil er nach den ersten Aufnahmen, die 2018 entstanden, 2020 nochmals daran anknüpft, als in «Mitholz» eine offizielle Veranstaltung, vom Gemeindepräsidenten Roman Lanz und der Verteidigungsministerin Viola Amherd präsidiert, stattfindet. Zusätzlich aufgearbeitet hat Stich das Thema mit zahlreichen Archivbildern, die die Verwüstungen von 1947 vor Augen führen und als geschichtliches Zeugnis aufschlussreich sind. Einen Blick in den besagten Felsen erhält man ebenfalls, der einem, genauso wie den neugierigen Einwohnern von «Mitholz», im Grunde gar nicht so gefährlich erscheint.
«Mitholz» berichtet von einem extremen Einzelfall, lässt aber dennoch allgemeine Überlegungen zu, wenn es beispielsweise um die Bedeutung von Heimat geht. Und nicht zuletzt ist der Film auch ein Lehrstück zum politischen System der Schweiz.
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