Monte Verità Schweiz 2021 – 116min.
Filmkritik
Monte Verità: Die persönliche Wahrheit der Hanna Leitner
Wer bei der neuen Schweizer Grossproduktion «Monte Verità» von Regisseur Stefan Jäger einen historisch korrekten Dokumentarfilm erwartet, wird enttäuscht sein. Wer hingegen das Lebensgefühl der Anti-Bourgeoisie des frühen 20. Jahrhunderts erleben möchte, für den ist der Kostümfilm über die Kooperative auf dem Tessiner Berg genau das Richtige.
Einen «Rausch der Freiheit» verspricht der klingende Untertitel des neuen Schweizer Films «Monte Verità», der am Samstagabend auf der Piazza Grande in Locarno lief. Dass der Spielfilm von Stefan Jäger hier seine Weltpremiere feierte, ist kein Zufall: Grösstenteils spielt er nur wenige Kilometer entfernt im benachbarten Ascona, in der Kommune auf dem berühmt-berüchtigten Monte Verità, dem «Berg der Wahrheit».
Hierhin flüchtet im Jahre 1906 die junge Protagonistin Hanna Leitner (Maresi Riegner). Sie bricht aus ihrem Leben in der Wiener Bourgeoisie und dem Leben mit ihrem handgreiflichen Ehemann aus, um auf dem Monte Verità, in der Naturheilanstalt ihres Therapeuten Otto Gross (Max Hubacher), ihre eigene Wahrheit zu suchen. Diese findet sie in der Fotografie, ihrer neuen Passion – das erste Mittel, mit dem sie sich selbst zum Ausdruck bringen kann. Auch im visuellen Design des Films liegt ein fotografisches Flair – viele goldene Schnitte, viel Licht und Schatten, und immer wieder malerische Aufnahmen, die zu fotografischen Standbildern in Schwarzweiss gefrieren.
Wer sich «Monte Verità» anschauen will, muss sich einer Sache bewusst sein: Der Film erhebt keinen dokumentarischen Anspruch, er ist keine gänzlich akkurate Repräsentation des Lebens auf dem Monte Verità im Jahre 1906. Zwar finden sich im Film einige historische Figuren wieder, die tatsächlich eine gewisse Zeit dort verbracht haben, wie zum Beispiel Hermann Hesse (Joel Basman), der auf dem Berg die Inspiration für seine Werke fand, oder eben der selbst nicht ganz gesunde Arzt Otto Gross, der die Heilanstalt so seriös leitete, wie er es mit seiner Kokainsucht eben konnte.
Die Hauptfigur selbst ist eine freie, aber glaubwürdige Erfindung des Drehbuchs, die ihren Zweck erfüllt: Sie vermittelt ein gewisses Lebensgefühl – freies Tanzen, freie Liebe, freies Leben. Droht das manchmal in den Kitsch abzugleiten, in den Rehaugen der Protagonistin oder auch in manchen Landschaftsaufnahmen und Dialogen? Vielleicht ja, doch beim durchnässten Publikum auf der Piazza Grande kam dieser «Rausch der Freiheit» dennoch an.
Kurzkritik von Walter Rohrbach
Der Monte Verità sollte eigentlich jedem Südschweizgänger ein Begriff sein: Auf dem verwilderten Weinberg oberhalb von Ascona versammelten sich vor gut hundert Jahren einige Aussteiger um ein anderes Leben zu führen. Inmitten dieser historischen Begebenheit wird die Geschichte einer mutigen Frau erzählt, die entgegen der bürgerlichen Konventionen versucht ihren eigenen Weg aus der Depression und der Fremdbestimmung zu gehen. «Monte Verità» ist in diesem Jahrgang der prominenteste Schweizer Beitrag in Locarno: Regie geführt hat Stefan Jäger und mit Joel Basman und Max Hubacher sind zwei bekannte Schauspieler dabei – diese und vor allem die Hauptprotagonistin (Maresi Riegner), machen den Film zu einem interessanten Vergnügen.
3.5 Sterne
Dein Film-Rating
Kommentare
Irgendwie war mir das ganze zu glatt, zu absehbar. Wenn es mal zündete, dann wortwörtlich, um schnell wieder in Minne zu führen. In der Dunkelkammer sehen wir immer nur Positive - nie wird zuerst das negativ entwikelt: Fast ein Bild für den Film: Es bleibt auf der Schauseite.
Erstmals im Abspann genannt die die COVID-Beauftragte. Und ich vermisste dort einen Hinweis, das das Leitmotiv inspiriert ist von der Passacaglia von Handel Halvorsen. Wollte immer dann umkippen, umhören ins Original, wie es weiterspielt, aber die Filmmusik kehrte repetitiv zum Motiv um - ohne Variation, Modulation. Vielleicht irgendwie passend gar… Mehr anzeigen
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung