CH.FILM

The Bubble Schweiz 2021 – 92min.

Filmkritik

Der amerikanische Traum vom wohlverdienten (Un-)Ruhestand

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Valerie Blankenbyl wirft einen Blick hinter die Mauern der grössten Seniorenresidenz der USA. Sie entdeckt ein Paradies für gut betuchte, weisse Silver Ager, denen der Rest der Welt egal ist.

Schlicht „The Villages“ nennt sich die derzeit grösste Rentnerresidenz der USA. Sie liegt in Florida und bewirbt sich als „Florida’s Friendliest Active Adult 55+ Retirement“. In den 1980er-Jahren von Harald Schwarz als Wohnwagensiedlung in Sumter County gegründet, erstreckt sich die Residenz 2020 von dessen Urenkeln betrieben über eine Fläche von 142 km2. Sie zählt über 150‘000 Bewohner, 54 Golfplätze, 70 Swimmingpools und 96 Freizeitcenter. 3‘000 Social Clubs laden zur Geselligkeit ein. Für rund 80‘000 Dollar lässt sich in „The Villages“ ein Haus mit Garage und Vorgarten erstehen, für monatlich rund 140 Dollar ist man überall mit dabei. Sie seien, erklären von Valerie Blankenbyl befragte Residenzinsassen, nie so aktiv und sorglos durchs Leben gegangen wie nun hier im Alter.

Es sind ein paar wenige nur, die Blankenbyl Rede und Antwort stehen. Das Management verweigerte sich den Anfragen der Regisseurin und forderte die Bewohner auf, den Kontakt mit der Filmcrew zu meiden, auch den Angestellten war der Mund verboten. Dass Blankenbyl dennoch drehen konnte, liegt daran, dass die Strassen und Plätze der Gated Community als öffentliches Gelände jedermann zugänglich sind und dafür eine Dreherlaubnis zu bekommen problemlos war.

Blankenbyl hat sich bereits in früheren Filmen – wie „Ma na sapna – A Mother’s Dream“ (2013), „I am Jesus“ (2010) – mit gesellschaftlich isolierten Gruppen auseinandergesetzt und tut es auch hier: De facto wird in „The Villages“ ein von Konsumismus geprägter, sorgloser amerikanischer Lifestyle propagiert, der auf eine bestimmte Klasse zielt: Die Bewohner von „The Villages“ – nicht wenige von ihnen aus dem Norden in die Sonne Floridas gezogen – sind gut betucht und weiss, die meisten haben 2016 Trump gewählt.

Der Blick der Regisseurin auf die Residenzinsassen ist freundlich. Gleichwohl kratzt ihr Film am Lack dieser oft surreal anmutenden Utopie. „The Villages“ erklärt eine Lokaljournalistin, welche deren Entwicklung seit Jahren beobachtet, sei riesiges soziales Experiment. Sie hat in „The Bubble“ die Rolle der Wortführerin der ansässigen Bevölkerung, welche – obwohl sie von der Residenz seit Jahren auch profitiert – besorgt und zunehmend wütend beobachtet, wie deren stetigen Erweiterung und der verschwenderische Lebensstil der Insassen nicht nur zur Gentrifizierung führen, sondern auch das Ökosystem nachhaltig stören.

27.04.2021

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