Filmkritik
Achterbahn einer Pop-Ikone
«Hi everybody» – krächzt eine geballte Ladung Energie Turner ins Mikrofon – doch dann wechselt die Musik in eine melancholische Pianomelodie und man hört Tina aus dem Off sagen: «it wasn’t a good life». Das Leben, Leiden, Scheitern, Auferstehen und wiederholte Suchen – kurz, die Achterbahnfahrt entlang Tinas Leben ist eindrücklich und bietet definitiv genug Stoff für eine fesselnde Dokumentation.
Natürlich ist das eine riesen Geschichte: 1939 als Anna Mae Bullock in einem kleinen Nest in Tennesse (USA) geboren, zeitweise bei ihrer Grossmutter aufgewachsen, sollte aus dem schüchternen Mädchen nach einer unglaublichen Lebensgeschichte Tina Turner die Pop-Ikone werden. Aber Tina ist mehr als der voluminöse Lockenkopf mit Wahnsinnsstimme: Der Lebensweg dieses Energiebündels ist mehr als erstaunlich und absolut faszinierend. Nachdem sie ihre Kindheit in grosser Armut, in der sie Baumwolle auf den Feldern pflückte, hinter sich lassen konnte, geriet sie in die nächste Abhängigkeit. 1962 heiratete sie ihren Bandkollegen Ike Turner. Was sehr harmonisch begann endete in Schlägen, Misshandlungen bis hin zu Vergewaltigungen – was Tina sogar zu einem Selbstmordversuch trieb. Erst nach 14 Jahren gelang es ihr, sich zu trennen.
Nun ganz am Boden, aber befreit von Ike, konnte Tina neu starten. Nach fleissigen Auftritten auf Tourneen und TV-Shows, gelang es ihr sich allmählich aus dem Karrieretief zu stemmen. Über verschiedene Kontakte landete sie schliesslich in London, woraus 1984 mit What’s Love Got to Do with It – ihre erste Single – gleich auf Platz eins landete. Ich weiss nicht was man noch alles in ein Leben reinpacken kann, aber jenes von Tina beleuchtet eine Vielzahl von Themen: eine schwarze Frau, die sich in den 60ern ihren Weg bahnen muss, ihre Mutterrolle und Schuldgefühle, ihre Abhängigkeit und der Kampf um Selbstbestimmung, der Umgang mit der Öffentlichkeit und dem aggressiven Journalismus, ihr grosser Erfolg und gleichzeitig ihre Einsamkeit.
Die Dokumentation der beiden Oscar-Preisträger Daniel Lindsay und Thomas McKay Martin gibt emotionale Einblicke in das Leben der Sängerin. Neben dem Porträt von all den Wendungen ist es vor allem die Energie von Tina, die beeindruckt, wenn man die alten Bilder von ihr auf der Bühne sieht: elektrisierend, stilgebend, ikonisch. Bei vielem war sie die Erste: als farbiger, weiblicher Rockstar, der den ersten Welthit erst mit 46 hatte, musste sie sich über viele Konventionen hinwegsetzen. Auch wenn die Dokumentation etwas Überlänge hat, sollte man «TINA» einen Filmabend widmen: What’s Love Got to Do with It? «Everything» würde Tina antworten.
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