No Bears Iran 2022 – 108min.
Filmkritik
Von der Stadt auf das Land
Der fantastische iranische Regisseur Jafar Panahi präsentiert einen neuen, brillant ausgeführten Film: «No Bears», Spezialpreis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig 2022, der auch beim Zurich Film Festival 2022 gezeigt wird.
Jafar Panahi besucht ein kleines Dorf und hält mit seiner Kamera die Momente des Lebens der Bewohner fest. Doch eines seiner Fotos könnte das abweichende Verhalten einer Frau aus dem Dorf beweisen, die einem anderen Mann versprochen worden ist. Während er sich inmitten lokaler Streitigkeiten wiederfindet, versucht der Filmemacher parallel dazu, aus der Ferne einen Dokumentarfilm über ein Paar zu drehen, das versucht, aus dem Land zu fliehen.
Vier Jahre nach «Three Faces», der bei den Filmfestspielen von Cannes 2018 den Preis für das beste Drehbuch gewann, inszeniert der Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Jafar Panahi erneut eine fiktive Version seiner selbst. Ein fabelhaftes Werk mit Meta-Aroma, das nicht ohne die realen Einschränkungen auskommt, denen der Filmemacher, der derzeit im Gefängnis sitzt, ausgesetzt ist. Zwei Geschichten über politischen und kulturellen Druck und die zerbrochene Liebe, die das Chaos der Stadt den Traditionen des Landes gegenüberstellen. Unterschiede, die im Drama doch so ähnlich sind, sind tadellos in Szene gesetzt durch die Fotografie von Amin Jafari («Hit the Road» - 2021), die die Wendungen begleitet und die städtischen und ländlichen Landschaften brillant umsetzt.
Die Kamera rhythmisiert geschickt die wachsende Spannung. Während sie Jafar Panahi ruhig bei seinen Tätigkeiten folgt, zittert und vibriert sie, wenn er sich auf die Strasse begibt, und wird zur nervösen Vektorin seines Blicks. Eine Perspektive aus der Ich-Perspektive, die geschickt in den Drehszenen des Dokumentarfilms eingesetzt wird. Wir sehen durch seine Augen und das technische Team wendet sich direkt an uns. So wird das Publikum nicht nur passiv beobachtet, sondern Teil der Geschichte. Ein Film im Film für ein kafkaeskes politisches Werk. Mit «No Bears» bietet Jafar Panahi eine einzigartige Sicht auf den zeitgenössischen Iran. Ein brillanter und faszinierender Spielfilm, der einem sanft an die Gurgel geht.
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Kommentare
Zwischen der Filmkritik, gehört auf SRF2Kultur und dem Filmschauen verging zum Glück einige Zeit:
So hatte ich nicht mehr in Erinnerung, wie der Film beginnt - und bekam gleich eine doppelte Überraschung geschenkt, filmisch genial.
Wenn überhaupt, war maximal einmal in der Ferne ein Muezzinruf zu hören, ansonsten im Mullaregime keine Moschee, kein Minarett, keine Geistlichen, keine Religionspolizei. Einmal wird ein Koran hergetragen, aber mehr wie ein kultisches Objekt (ähnlich einer Bibel, worauf bei Amtseid geschworden wird): Allein: Es ist dann doch nicht die Religion, sondern der Film, der Wahrheit versus Lüge bezeugen soll. So gesehen ist das Religionsregime im Iran der grosse Abwesende, und doch ständig präsent . Weil es zum Davonlaufen ist. Grosses Kino über kleinmütige Theokratie.… Mehr anzeigen
Ich hatte das Glück den Film "No Bears" in Begleitung mit einer Iranerin schauen sie können. Sie half mir die sensible, mitunter dramatische Handlung -vor dem Hintergrund politischer, religiöser, traditioneller und kultureller Unterdrückung unter dem Mullahregime- im Nachgang zum Film noch besser zu entschlüsseln oder einzuordnen. Ähnlich wie in „This Is Not a Film“ ist der geniale Regisseur Panahi von Beginn an präsent. Aber hier als zentrale Figur, die sich statt in einer Doku eher im Rahmen eines fiktiven Erzähldramas bewegt. Welches in einem ausgeleierten und verkrusteteren System spielt, dem insbesondere die meisten jüngeren Bürger:innen lieber schon heute als Morgen den Rücken kehren würden..… Mehr anzeigen
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