She Said USA 2022 – 129min.
Filmkritik
Zwei Frauen gegen das Schweigen
2017 schlug ein Artikel der New York Times, in dem die Machenschaften von Harvey Weinstein angeprangert wurden, wie eine Bombe ein. Der Film zeichnet die Recherchen der beiden Journalisten hinter der Untersuchung nach, die zwischen Hindernissen und Einschüchterungen stattfanden. Parallel dazu sagt die Rezeption des Publikums in den Kinos viel über unsere Gesellschaft aus.
Der Ausdruck «He said, she said», wörtlich «er sagte, sie sagte», kann in einem Kontext, der typischerweise eine Situation zwischen einem Mann und einer Frau ohne weitere Zeugen beinhaltet, als «sein Wort gegen ihres» übersetzt werden. Durch die Entscheidung, sich auf den zweiten Teil des Satzes zu konzentrieren, verleiht der Titel dem Wort der Frauen, denjenigen, die aussagen, und denjenigen, die anprangern, wieder Bedeutung. «She said» geht auf die Arbeit der beiden Journalistinnen der New York Times ein, die einen Artikel veröffentlichten, in dem sie die Machenschaften des allmächtigen Harvey Weinstein, damals Produzent in Hollywood, anprangerten.
Etwas mehr als zwei Stunden lang folgt der Zuschauer den Spuren von Megan Twohey und Jodi Kantor in einem journalistischen Thriller. Über zehn Monate lang hatten sich die beiden Frauen damit beschäftigt, genügend Belastungsmaterial gegen Weinstein zu sammeln, um einen Artikel zusammenzustellen. Der Alltag einer Journalistin verläuft nicht unbedingt rasant: Viele Szenen zeigen, wie die beiden Frauen versuchen, zwischen Familie und Beruf zu jonglieren, erreichbar sind und von ständigen Anrufen gestört werden. Je mehr Hindernisse sich auftürmen, desto fesselnder wird die Untersuchung dennoch.
Die grösste Schwierigkeit, auf die die jungen Frauen, gespielt von Carey Mulligan und Zoe Kazan, stossen, ist das Totschweigen der schlimmsten Art, das weit über einen einzelnen Mann hinaus ein ganzes System schützt. Eine Stellungnahme von Betroffenen scheint fast unmöglich zu finden, da die Opfer Angst haben, zu sprechen. Die Schauspielerin Ashley Judd, die in ihrer eigenen Rolle zu sehen ist, war die erste, die ihre Anonymität durchbrach. Fünf Jahre nach dem Erscheinen des Artikels, der in Hollywood wie eine Bombe einschlug, hat die Redefreiheit zwar zugenommen, aber die Zungen sind noch lange nicht gelöst.
Die Schauspielerin Gwyneth Paltrow wird erwähnt, aber nie gezeigt. Weinstein selbst, der für einige kurze Momente von hinten zu sehen ist, muss sich nicht offenbaren: Seine Präsenz nimmt den Raum durch das Echo der Zeugenaussagen und die Ausbrüche seiner Stimme ein, die manchmal von einer fast kindlichen Wut geprägt ist. Aus den oft dunklen Lichtern, den verstohlen gefilmten Ecken und Wänden und einer unter Spannung stehenden Musik entsteht eine effiziente, manchmal erfinderische Montage. Die Aufnahmen der Zeugenaussagen der Opfer entfalten sich in langen Kamerafahrten durch endlose Hotelflure mit unpersönlichen und plötzlich bedrohlich wirkenden Teppichen.
«She said» ist für die Oscars im Rennen, doch paradoxerweise hat der Film in den USA einen der schlechtesten Kinostarts der letzten zehn Jahre hingelegt. Der Preis wäre zwar verdient, vor allem für die Leistung der Schauspielerinnen, aber wie lässt sich diese Diskrepanz erklären? Vielleicht sagt uns der Film mehr über die Behandlung eines solchen Themas in unserer Gesellschaft aus als über seine Aufnahme zum Zeitpunkt der Untersuchung. Im Jahr 2020 wurde Weinstein zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Höhepunkt der Medienneugier scheint bereits überschritten zu sein. Oder sind zum Jahresende leichtere Themen bei den Zuschauern beliebt?
Es wäre jedoch ein grosser Irrtum, zu glauben, dass sich alles geändert hat. Der Fall Weinstein hat zwar den Weg für neue Gesetze und eine Bewusstseinsbildung geebnet, aber das ist erst der Anfang. Von den Buchhaltern über die Anwälte, die übrigens 40% des Gewinns einstreichen, wenn sich Stalker und Opfer finanziell einigen, bis hin zu den Zeitungen, die im Wettlauf um die Story zu (fast) allem bereit sind, ist die Gleichstellung der Geschlechter noch nicht in greifbarer Nähe. Es bleibt zu hoffen, dass der Film in Europa eine bessere Karriere macht, da er ein Meilenstein in einem Fall ist, der die Gesellschaft tief geprägt hat.
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Kommentare
Heute gesehen sensationell Drama alla Spotlight The Post oder Bombshell! Hammer Performances from Carey Mulligan Zoe Kazan und Samantha Morten !! Echt genial zum Glück noch im Kino gesehen !! Hammer Soundtrack and Cinematography!!
Spotlight (Bosten Globe) war insofern dramatischer, da man(n) den Tätern nichts Schlimmes zutraute.
Die Langsamkeit, das 'Anstehen', Nicht Vorwärtskommen vielleicht wenig spannend, aber wohl sehr realistisch. Warten. Wie im Advent.
Zeigt sehr gut, dass nicht allein zufällige Gelegenheiten zu solch schwerem Missbrauch führen, sondern es auch ein ganzes System von Unterstützern und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz braucht, damit solch ein unglaubliches Verbrechen über Jahrzehnte 'funktioniert'
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