Until Branches Bend Kanada, Schweiz 2022 – 99min.
Filmkritik
Ein traumhaftes Märchen mit Pfirsichgeschmack
Die kanadisch-schweizerische Filmemacherin Sophie Jarvis entführt uns mit «Until Branches Bend» an den Rand des Fantastischen. Ein zauberhafter und nachdenklicher Debütfilm, in dem sich fremdartige Insekten im Obst verstecken.
Die alleinstehende, schwangere Robin (Grace Glowicki) lebt mit ihrer Schwester (Alexandra Roberts) in einem kleinen Ort in Kanada und arbeitet in einer Pfirsichkonservenfabrik. Eines Tages entdeckt sie in einer Frucht einen Käfer. Sie versucht, ihren Vorgesetzten (Lochlyn Munro) und ihre Kollegen zu alarmieren, doch niemand nimmt sie ernst – schlimmer noch, sie wird verpönt. Robin stellt Nachforschungen an, während sie parallel mehrere Termine für ihre bevorstehende Abtreibung absolviert.
Sophie Jarvis' Film, der im vergangenen Januar mit dem Solothurner Filmpreis ausgezeichnet wurde – dem wichtigsten Preis des Schweizer Films – und beim letzten Filmfestival von Locarno im Panorama Suisse lief, kommt nun endlich in die Kinos. Die in Vancouver ansässige Regisseurin entführt uns nach Montague im Okanagan Valley in British Columbia, in eine Küstenlandschaft, die der Bodega Bay in Alfred Hitchcocks «Die Vögel» ähnelt. «Until Branches Bend» und die traumähnliche Geschichte von Robin, faszinierend von Grace Glowicki verkörpert, sind elegant in diese Welt eingebettet. Während einer Hitzewelle, zusätzlich von der Musik von Kieran Jarvis (Bruder der Regisseurin) verstärkt, ersetzen die Pfirsiche hier die Krähen und die Bedrohung durch die angeblich invasiven Insekten wird zu einer visuellen und psychischen Beklemmung – an der Schwelle zum Übernatürlichen.
Da sie aus einer Familie stammt, die durch eine Mottenplage alles verloren hat, nimmt Robin die Käfer als potentielle Gefahr sehr ernst. Sophie Jarvis verlegt die Reise ihrer Protagonistin in das Herz eines patriarchalischen Gefüges, personifiziert von einem hier unausstehlichen Lochlyn Munro (bekannt aus den Serien «Charmed» und «Riverdale»). Ihr Vertrauen auf die Wissenschaft findet in der vorherrschenden Sprachlosigkeit und Verteufelung ihrer Aussagen einen unangenehm gegenwärtige Reaktion. Sollten wir hier eine Kritik an der Leugnung der Erderwärmung, der Entscheidungsmacht alter Menschen und der Gier bestimmter Agrarkonzerne sehen? Zweifellos, die Grundmetapher von «Until Branches Bend» ist ein unergründliches Rätsel.
«Until Branches Bend» ist eine Mischung aus Roadmovie, ökologischer Fabel und seelischer Reise – angetrieben von grüner Energie und einer dringend notwendigen Botschaft. Nur einige der esoterischen Höhenflüge erfordern mindestens eine Nacht Schlaf, um vollständig verarbeitet zu werden. Und dennoch ist das von Sophie Jarvis, Kathleen Hepburn und Elle-Máijá Tailfeathers verfasste Drehbuch sicherlich eine der originellsten Allegorien, die wir in diesem Jahr gesehen haben. Ein durch und durch konzeptueller Film und ein erster Hinweis auf eine vielversprechenden Filmemacherin.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung