Dreamers Deutschland, Schweiz 2023 – 85min.
Filmkritik
Der amerikanische Traum aus Papier
Die Filmemacher:innen Stéphanie Barbey und Luc Peter haben einen intimen Film über das Leben eines "Träumers" vorgelegt, der auf die amerikanische Staatsbürgerschaft wartet.
Carlos wurde in Mexiko geboren und lebt seit 30 Jahren in Chicago. Er kam 1993 im Alter von neun Jahren mit seinen Brüdern und seiner Mutter in die Staaten und ist seitdem in den USA ansässig. Vor dem Gesetz hat Carlos jedoch keine Papiere. Er gehört zu den sogenannten "Dreamers", den Träumern, die vergeblich auf ihre Einbürgerung warten. Sein Status hat ihn apathisch und ängstlich gemacht, da er bei einem falschen Schritt an die Grenze zurückgebracht werden könnte. Dieses Drama hat ihn vor 15 Jahren bereits einen Bruder gekostet. Bald wird eine Geburt die Familie erweitern und eine Hochzeit steht bevor. Trotz der Freude über diese Neuigkeiten wird seine paradoxe Situation immer schlimmer.
«Chicago, Chicago that toddling town» schrieb der Songwriter Fred Fisher 1922. Ein Jahrhundert später ist es eine andere Wanderung, auf die uns Stéphanie Barbey und Luc Peter mit «Dreamers» mitnehmen. An den Ufern des Lake Michigan und nach einem Epos an der mexikanischen Grenze in «Broken Land» (2014) schneidet das Regieduo erneut ein Stück aus der Realität heraus, um daraus eine zeitgenössische Geschichte zu entwerfen.
Ein Dokumentarfilm, um den Traum von Carlos zu verstehen, der wie 2,5 Millionen Menschen heute darauf wartet, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Seit Ewigkeiten ist sein Antrag erfolglos geblieben. Der Film mit dem subtilen Titel «Dreamers» gibt unserem 38-jährigen Protagonisten, der sich aus Angst vor Verfolgungsjagden aus der Welt zurückgezogen hat, wieder eine Stimme. In der Mitte des Dokumentarfilms erwacht er zu neuem Leben und erzählt im Voice-over über fast den gesamten Film hinweg seine Geschichte, die seiner Brüder, seiner Mutter, seiner Grossmutter und seiner bevorstehenden Hochzeit. Eine berührende Familiengeschichte in geteilter Perspektive, in der das Paradoxon der Einwanderer:innen durchscheint.
An der Universität wurde ihm einst eine grosse Zukunft als Fußballspieler vorausgesagt, bevor eine Sozialversicherungsnummer seine Zukunft vereitelte. Heute arbeitet Carlos im Baugewerbe. Die Kamera der beiden Filmemacher:innen streift auch über die vertikalen Weiten Chicagos, wie eine stille Hommage an die Arbeiter ohne Papiere, die den Traum von Grossartigkeit für diejenigen formen, die vergessen haben, dass andere am Boden von Stabilität träumen.
Als vertikale Dystopie des "American Dream" enthüllt «Dreamers» eine intime Reise. Als Dokumentarfilm mit trägem und beschaulichen Rhythmus, gehalten in Schwarz-Weiss, ausgewaschen von seinen Farben, beleuchten Stéphanie Barbey und Luc Peter die schläfrige Psyche ihrer Figur. Doch eingelullt von den Partituren des Musikers Louis Jucker (die uns an Neil Youngs Kompositionen für Jim Jarmusch erinnern), schlummert auch Energie.
Ein Hauch von Hoffnung durchbricht tatsächlich die Wolken, wenn Carlos sich über die Anprobe eines Mariachi-Kostüms für seine Hochzeit amüsiert oder wenn er über die ersten Gitarrenklänge seines Neffen staunt. Zwischen Himmel und Vätern (seien sie nun zurückgekehrt oder abwesend) geht es weniger darum, die Widersprüche der staatlichen Verwaltung aufzuklären, als vielmehr das Leben derer zu porträtieren, die ausserhalb der Gesellschaft leben. «Dreamers» ist ein zärtlicher Film über den Alltag der Menschen am Rande der Gesellschaft.
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