Laissez-moi Belgien, Frankreich, Schweiz 2023 – 93min.
Filmkritik
Schweizer Frauenporträt
Der Schweizer Regisseur Maxime Rappaz stellte seinen ersten Spielfilm, «Laissez-moi», 2023 in der Sektion Acid des Filmfestivals von Cannes vor. Jeanne Balibar spielt darin eine aufopferungsvolle Mutter, die ein einsames Doppelleben führt.
Einmal in der Woche zieht Claudine (Jeanne Balibar) ihr weisses Kleid und ihre braunen Stiefeletten an, trägt Lippenstift auf und fährt mit dem Zug und später mit der Seilbahn zu einem Berghotel am Fusse eines riesigen Staudamms. Dort, auf 2500 Metern Höhe, bittet sie den Rezeptionisten, ihr gegen Zahlung eines kleinen Bestechungsgeldes ein paar Informationen über die anwesenden Gäste zu geben. Die Kriterien sind simpel: einsame Männer, die nur kurze Zeit bleiben.
Jeden Dienstag läuft es nach demselben Muster ab: Sie geht auf die Männer zu, fragt sie nach der Stadt, in der sie leben, schläft mit ihnen und geht wieder. Sie schreibt die Geschichten, die ihr die Männer über Florenz oder Hamburg erzählt haben, auf eine Postkarte und schickt diese Karten an ihren behinderten Sohn (gespielt von dem Lausanner Schauspieler Pierre-Antoine Dubey), wobei sie ihn glauben lässt, dass sie von seinem Vater stammen. Den Rest ihrer Zeit verbringt Claudine mit ihrem Sohn, um den sie sich aufopferungsvoll kümmert. Doch wäre auch ein anderes Leben möglich?
Der von Maxime Rappaz inszenierte Film «Laissez-moi» ist die einzige zu 100 % schweizerische Produktion, die im vergangenen Jahr in Cannes gezeigt wurde. Der Regisseur, der in Genf geboren wurde, aber seine Wurzeln im Wallis hat, wählte zuerst seinen Schauplatz aus, bevor er sein Drehbuch schrieb. Dann stellte er sich das Doppelleben dieser Frau vor, die ihren Alltag im Flachland verbringt und in die Berge flüchtet. Die Staumauer Grande-Dixence im Val d'Hérens wird in diesem Rahmen zu einer eigenen Figur.
Doch die sich wiederholenden Einstellungen, die sich meist auf das Gesicht von Jeanne Balibar konzentrieren – das von einer intensiven Kamera eingefangen wird – und nur selten in Totalen abgebildet werden, vermitteln eher ein Gefühl des Erstickens als der Freiheit. Die Walliser Landschaften sind keineswegs wie eine Postkarte gefilmt, die Claudine ihrem Sohn schicken würde, ganz im Gegenteil, sie vermitteln den Eindruck einer eigenen Welt, ein wenig geheimnisvoll und zeitlos.
Im Laufe des Films vollzieht Claudine, eine mutige Mutter, die zu ihren Wünschen und Entscheidungen steht, einen persönlichen Wandel, den Maxime Rappaz mit Feingefühl und Unaufgeregtheit darstellt. Melancholie umhüllt das Publikum, während die 50-Jährige allmählich gewisse Opfer und die Form der Einsamkeit, in der sie sich eingerichtet hat, in Frage stellt.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung