Las Toreras Schweiz 2023 – 101min.
Filmkritik
Wer steckt hinter der Maske?
Die Schweizer Musikerin und Filmemacherin Jackie Brutsche hat mit «Las Toreras» ihren ersten Langfilm gedreht. In der Dokumentation versucht sie für sich zu beantworten, wer ihre Mutter war – vor allem liefert sie aber eine posthume Anerkennung ihres Leidens.
Am Anfang des Films erklärt Jackie Brutsche in einem Voice-Over, dass sie sich der Geschichte ihrer Mutter lange nicht gestellt hat – mit «Las Toreras» begleitet sie nun ihren Versuch, das nachzuholen. Als Jackie zehn Jahre alt war, hat ihre Mutter Selbstmord begangen. Mehr als 30 Jahre später, vollzieht sie deswegen noch einmal die Lebensgeschichte von Carmen Brutsche – von ihrer Kindheit in Spanien bis zu ihrer Auswanderung in die Schweiz – nach. Schnell wird klar, dass ihre psychischen Probleme, ihre Eingeengtheit von einem bestimmten Frauenbild und ihre Überforderung mit der Mutterrolle von einem Teil der Familie einfach nicht gesehen werden wollte.
Auf einem Tagebuch ihrer Mutter, das Jackie Brutsche relativ zu Anfang des Films findet, steht in Spanisch geschrieben «Wer das liest, sündigt». Die Missachtung dieses Verbots ist zentral für die Methode von «Las Toreras»: Immer wieder kommt die Mutter durch ihre eigenen Texte zu Wort – wiederholt werden die Geschwister mit den zum Teil sehr direkten Aussagen konfrontiert. Das Ziel ist dabei eine Anerkennung, die Carmen zu Lebzeiten verweigert wurde.
Der Film besteht – sehr klassisch – zu einem Grossteil aus Interviews, neben der spanischen Familie kommen auch der Vater und der Bruder von Brutsche aus der Schweiz zu Wort. Durch die Konfrontationen mit den Aussagen der Mutter ist der Film auch eine Dokumentation über das Aufeinandertreffen ganz unterschiedlicher, über Jahre geformter Erinnerungen – und die Unfähigkeit, sie zu ändern.
Aufgebrochen werden die Gespräche immer wieder von stark symbolischen Szenen, in denen Brutsche ihre Mutter – auch von der Filmemacherin gespielt, aber mit einer grossen weissen Maske, bei der nie klar ist, was dahinter wirklich vorgeht – durch eine Western-Landschaft verfolgt. Die Landschaft wird dabei zur Projektionsfläche, in der sich die Überlegungen der ZuschauerInnen bündeln lassen und die zum Nachdenken über das Gesehen anregt. Sieht sich Jackie selbst als Eindringling in die Welt ihrer Mutter? Oder geht es um ihre Mutter gegenüber einer feindlichen Umwelt? Spiegelt die karge Landschaft einfach eine Weltsicht von Carmen? Dass die verschiedenen Möglichkeiten zugelassen werden, ist eine der grossen Stärken des Films.
Gerade in den Western-Szenen wirkt der Film selbst gemacht und zusammengebastelt. Auch in der restlichen Dokumentation stolpert man immer wieder über kleinere filmischen Entscheidungen – einige der Interviews werden so zum Beispiel sehr willkürlich durch eine Schuss-Gegenschuss-Abfolge aufgebrochen. Hinter dieser Kritik steckt aber eigentlich eine Stärke des Films: Gerade durch den eigenwilligen und nicht klinisch-perfekten Stil wirkt der Film persönlich und unverfälscht. Dass die Schlusspointe des Films etwas simpler ausfällt als die vorangegangenen Überlegungen, ist dabei nur ein kleiner Wermutstropfen.
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