Lubo Italien, Schweiz 2023 – 180min.
Filmkritik
Zerrissene Familienbande
In den 30er- und 40er-Jahren wurden jenische Familien in der Schweiz ihrer Kinder beraubt – alles im Auftrag einer “Rassenhygiene”, die die nomadische Minderheit dezimieren sollte. «Lubo» ist eine eindrucksvolle Aufarbeitung dieses Themas und behandelt den Schmerz verzweifelter Eltern auf der Suche nach ihren Kindern.
Lubo und seine Familie sind Jenische und reisen als Nomaden durch die Schweiz. 1939 wird Lubo plötzlich eingezogen, um die Schweizer Grenze zu bewachen, aber während seiner Abwesenheit werden seine Kinder verschleppt und seine Frau ermordet. Die Entführung seiner Kinder gehört zu einem gross angelegten Plan, die Jenischen zu dezimieren. Lubo desertiert, ermordet einen österreichischen Schmuggler, nimmt dessen Identität an und erkauft sich mit dessen Ware Kontakte in die höchsten Kreise von Kultur und Politik – alles, um seine Kinder wiederzufinden.
«Lubo» behandelt wohl eines der dunkelsten Kapitel der Schweizer Geschichte. Unter der Leitung der halbstaatlichen Stiftung «Pro Juventute» wurde 1926 das Projekt «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» ins Leben gerufen. Das Ziel des Projektes war die Auflösung der Familienbande der Jenischen und damit letztlich die Auslöschung dieser Minderheit. Kinder wurden ihren Familien unter dem Vorwand einer Kindeswohlgefährdung weggenommen und wuchsen in Heimen oder bei Pflegefamilien auf, die die Kinder oft als billige Arbeitskräfte ausbeuteten oder misshandelten.
Anders als beispielsweise der 1992 erschienene Film «Kinder der Landstrasse» legt «Lubo» den Fokus weniger auf die Kinder und ihre Schicksale. Sie bleiben hier grösstenteils eine Leerstelle, ihre Geschichten werden eher angedeutet und dürfen dann in den Köpfen des Publikums ihre volle Wirkung entfalten. Immer wieder werden Fotos von entführten Kindern gezeigt, Gruppen von Kindern auf der Strasse oder einzelne Kinder in neuen Familien auf den Bauernhöfen der Umgebung – unheilvolle Denkanstösse.
Diese Leerstelle spiegelt die Ungewissheit wider, die auch Lubo in Bezug auf seine Kinder hat, deren Schicksal er nicht kennt und die zu einer von vielen Geschichten der Verschleppung werden. «Lubo» fixiert sich auf seine Hauptfigur und stellt den Schmerz und die zunehmende Hoffnungslosigkeit des trauernden Vaters in den Vordergrund. Die Thematik ist düster und schwer zu ertragen, trotzdem ist die Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig und notwendig, vor allem wenn man bedenkt, dass das “Hilfswerk” erst 1973 unter öffentlichem Druck aufgelöst wurde.
In den 180 Minuten Laufzeit verliert «Lubo» aber immer mehr den Fokus und die Suche nach den Kindern spielt immer weniger eine Rolle. Dieser thematischen Zerfaserung, die sich erst mit dem Holzhammer-Ende auf eine etwas unglückliche Art wieder zurück besinnt, wirkt allein das intensive Schauspiel von Franz Rogowski entgegen. Facettenreich und mit grosser emotionaler Wucht trägt er den Film auch über mäandernde Abschnitte.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung