Armand Deutschland, Niederlande, Norwegen, Schweden 2024 – 116min.
Filmkritik
Zwischen Schein und Sein
In «Amand» wird ein sechsjähriger Junge des sexuellen Missbrauchs an einem Gleichaltrigen bezichtigt. Doch um die Wahrheitssuche geht es in dem oft irritierenden Film, der mehr Anregung als Antwort sein möchte, eigentlich nicht. Vielmehr um die Art, wie wir miteinander kommunizieren und bereit sind, Konflikte zu lösen.
In einem Klassenzimmer sitzen Sarah (Ellen Dorrit Petersen) und ihr Mann Anders (Endre Hellestve) Sie warten auf das Eintreffen von Elisabeth (Renate Reinsve), um mit ihr über einen beunruhigenden Vorfall zwischen ihren beiden Kindern zu sprechen. Elisabeths sechsjähriger Sohn Armand soll den gleichaltrigen Jon auf der Schultoilette attackiert und ihm gedroht haben, ihn anal zu vergewaltigen. Zwar versucht die junge Lehrerin Sunna (Thea Lambrechts Vaulen) die Situation zu beruhigen, doch die Spannungen zwischen allen Beteiligten kochen langsam, aber stetig hoch.
Der Debütfilm des norwegischen Regisseurs Halfdan Ullmann Tønde – Enkel der skandinavischen Kinolegenden Liv Ullmann und Ingmar Bergman – ist eine irritierend-faszinierende Seherfahrung. Erst nach und nach werden die komplizierten Beziehungen der Figuren zueinander erklärt, es gibt surreal anmutende Tanzeinlagen, die aus dem Nichts kommen und weitere Szenen, die von dramatischer Konzentration plötzlich zu heftiger expressionistischer Intensität übergehen. So wie der schauspielerisch meisterhafte Moment von Reinsve, in dem diese einfach nicht mehr aufhören kann zu lachen.
Doch auch die Leistung von Kameramann Pål Ulvik Rokseth ist überragend. Wie er erst kammerspielartige Augenblicke festhält, um sich dann – im bedrohlichen Halbdunkel gefilmt – durch das höhlenartige Schulgebäude auf die Suche nach etwas zu machen, das uns bis zum Schluss rätselhaft erscheint. Viel lässt sich hier hineinlesen: über Geheimnisse und Lügen, Verdächtigungen und Rivalitäten, verschleppte Traumata und verlorene Träume. Damit ist «Armand» nicht zuletzt ein schmerzvolles Spiegelbild unserer Gesellschaft, in der Schein und Sein fliessend ineinander übergehen.
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