Captives Frankreich 2023 – 110min.
Filmkritik
Der Ball der Verrückten
Arnaud des Pallières kehrt mit «Captives» zur Filmkunst zurück, einem Frauenwerk in der Welt der Psychiatrie des späten 19. Jahrhunderts.
1894. Fanni (Mélanie Thierry) simuliert Wahnsinn, um sich in der psychiatrischen Klinik Salpêtrière einsperren zu lassen. Dort möchte sie nach ihrer Mutter suchen, zu der sie schon vor Jahren die Spur verloren hat. Beaufsichtigt wird sie von der gnadenlosen Wärterin La Douane (Marina Foïs), die unter dem Kommando der strengen Klinikchefin (Josiane Balasko) steht. So lernt Fanni diese besondere Gemeinschaft kennen, in der psychiatrische Fälle neben Frauen existieren, die lediglich eingesperrt werden, um sie von der Gesellschaft zu isolieren. Während der letzte grosse Ball der Salpêtrière vorbereitet wird, wühlt Fanni in der dunklen Vergangenheit der Einrichtung.
Die Geschichte dieser berüchtigten Veranstaltung, bei der Dr. Charcot seine "Bestien" der Pariser Gesellschaft zur Schau stellte, wurde bereits mehrfach filmisch aufgearbeitet, darunter auch in dem kürzlich erschienenen Film «Le Bal des Folles» von Mélanie Laurent. Arnaud de Pallières wählt in seinem Film den Blickwinkel seiner durchaus geistig gesunden Hauptdarstellerin, die er in die schaurige und ausschliesslich weibliche Welt einer psychiatrischen Klinik katapultiert.
Dabei besteht das erste Problem von «Captives» im völligen Verzicht auf Räumlichkeit: Die auf Mélanie Thierrys Perspektive fixierte Kamera in der nahezu konstanten Modalität der Grossaufnahme, lässt ihre Umgebung nie lebendig werden und nimmt den Zuschauer:innen jede Vorstellung von der physischen Realität der verschiedenen Protagonisten. Fanni ist zweifellos in diesem Krankenhaus verloren, aber das Publikum ist es umso mehr, was nicht dazu beiträgt, dass die Zuschauer:innen in die Geschichte eintauchen.
Diese räumliche Verwirrung geht einher mit einer verwirrenden Kameraführung, die aus einer Wackelkamera besteht, die den Zuschauer in einem Bild hin und her wirft, das ständig von Zoom-Effekten und einem epileptischen Schnitt gestört wird. Arnaud de Pallières scheint alle visuellen Codes des Actionfilms zu übernehmen, die antithetisch zu dem eher redseligen historischen Werk sind, das er realisiert. Das Ergebnis sind Aufnahmen, die kaum Raum zur Entfaltung haben und die Zuschauer frustrieren, da sie nie die Möglichkeit haben, das Geschehen zu erkunden.
Glücklicherweise bieten einige dokumentarische Ausbrüche gelegentlich einen Hauch von Authentizität in einer Erzählung, der es an solchen Elementen mangelt. Was bleibt, ist die absolut verblüffende Geschichte über die Behandlung von Frauen, die damals als verrückt galten, und eine mehr als überzeugende Darstellung durch eine besonders gut ausgewählte Besetzung.
Dein Film-Rating
Kommentare
An sich interessante Geschichte, die durch gewisse Logiklöcher (warum hat Fanni niemanden im Vorfeld eingeweiht und unternimmt stattdessen erst wáhrend ihres Aufenthalts ungeschickte oder vergebliche Versuche, ihren Mann zu informieren?) sowie gewisse Sprünge im Ablauf abgewertet wird.
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