Oh, Canada USA 2024 – 95min.
Filmkritik
Die letzten Stunden eines sterbenden Mannes
Paul Schrader, Drehbuchautor von «Wie ein wilder Stier» und weiteren Martin Scorsese-Klassikern, sowie Regisseur von «First Reformed», «The Card Counter» und zuletzt «Master Gardener», gehört zu den grossen Vertretern des Kinos maskuliner Komplexität. Nach seiner letzten unzusammenhängenden Trilogie über Gewalt und Vergebung folgt mit «Oh, Canada» nun eine Geschichte der etwas anderen Art.
Der krebskranke Leonard Fife (Richard Gere) begibt sich für ein letztes Interview vor eine Kamera. 25 Fragen hat man für den einflussreichen Dokumentarfilmer vorbereitet, um seine Karriere detailreich für die Nachwelt festhalten zu können. Für Fife sind diese Fragen jedoch nicht von Belang und so fängt er an, seine Geschichte, die bis ins Kindesalter zurückreicht, zu erzählen. Statt seinen dokumentarischen Werdegang nachzuzeichnen, verwebt er Leid, Liebe und existentielle Themen, die auch seine langjährige Ehefrau Emma (Uma Thurman) schockieren.
Die Charakteristik von Schraders filmischem Schaffenswerk ist schnell abgesteckt: Immer wieder geht es um komplexe Männerrollen, die nicht selten von dem zermürbenden System, der Liebe oder anderen Herausforderungen des Lebens gebrochen werden. Während es um manche Figur schon längst geschehen ist («Bringing out the Dead»), so gab es mit der letzten paradigmatischen Trilogie einen umfassenderen Blick auf männliche Resilienz, die viel Potential für Selbstidentifikation bot.
«Oh, Canada» ist im Vergleich anders konzipiert, was an der narrativen Ausgangslage liegt, da dem Protagonisten Fife nicht mehr viel Zeit bleibt. Die Krebszellen haben der körperlichen Resilienz schon längst den Garaus gemacht und auch die psychische Widerstandskraft liegt in Trümmern. Schraders Ansatz ist daher ein anderer. Die elementare Frage in anderen Werken: «Geht es mit dem gebrochen Mann zu Ende?» hat ausgedient. Stattdessen fragt er: «Wie geht es zu Ende?»
Während vergleichbare Filme über das Sterben gern einen radikalen Ansatz wählen («Vortex» von Gaspar Noe oder «Liebe» von Michael Haneke sind nur zwei Beispiele), hat es «Oh, Canada» schwer, ein ebenbürtiges Level an Emotionalität zu erreichen. Es mag an der nicht chronologischen Erzählung liegen, aber auch daran, dass die Sehnsüchte des Protagonisten und dessen Gedanken zum Leben nur vereinzelt in ihrer Komplexität freigelegt werden.
Am Ende der individuellen Dekonstruktion bleiben viele Worte unausgesprochen, typisch für jeden Abgang aus der Welt. Dadurch, dass sich viele Komponenten ausgleichen und Schrader, nur bedingt männliche Komplexität, filmische Ästhetik und Emotionalität zusammenbringt, reicht es nur für das Prädikat “durchschnittlich”.
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