Kadosh Frankreich, Israel 1999 – 116min.

Filmkritik

In Gottes Namen

Filmkritik: Senta van de Weetering

Mea Shearim – ein jerusalemer Quartier, in dem ultraorthodoxe Juden und Jüdinnen unter sich bleiben und bleiben wollen. Die Vorschriften von Thora und Talmud prägen den Alltag. Rivka und Meir sind seit zehn Jahren verheiratet; ihre Beziehung ist von Liebe und Respekt geprägt. Da die Ehe jedoch kinderlos geblieben ist, muss sie in den Augen des Rabbi geschieden werden. Meir kommt widerwillig der Forderungen nach und verstösst Rivka. Sie lässt es geschehen, zerbricht jedoch an der Trennung von ihrem Mann und der Gesellschaft, in der sie bisher Geborgenheit gefunden hat. Amos Gitaï erzählt eine gradlinige, auf wenige Figuren konzentrierte, doch um so dichtere Geschichte. Die Sorgfalt und Geduld, mit der er sich seinem Stoff nähert, suchen ihresgleichen.

Die Stärke des Films beruht darauf, dass er bei allem Engagement auf jeden moralischen Zeigefinger verzichtet. Gitaï kann sich darauf verlassen, dass die religiösen Würdenträger sich in den Augen des Publikums selber verraten, wenn sie sich zu Sätzen aufschwingen wie "Das Glück der Frau besteht darin, ihrem Mann zu dienen und seine Kinder zu gebären." Kadosh parodiert jedoch nicht; der Rabbi ist stets überzeugt von seinen Worten, es liegt keine bewusste Bösartigkeit oder gar Zynismus in ihnen.

Liebe contra Gesetz

Den starren Geboten der ultraorthodoxen Gesellschaft stellt Gitaï die Liebe gegenüber. Ein Prinzip, das in Literatur, Theater und Film seit jeher funktioniert. Hero und Leander, Romeo und Julia, Tristan und Isolde ... – was immer es ist, das sich der Liebe entgegenstellt, Religion, Familienstreit oder Ehegelübde, das Publikum ist auf der Seite der Liebenden. "Wer liebt, hat recht", formuliert der Literaturwissenschaftler Peter von Matt ein Gesetz, dessen Gültigkeit sich allerdings auf das Reich der Kunst beschränkt. Dort jedoch erfreut es sich ziemlich unumschränkter Zustimmung. Darauf zählt "Kadosh".

Zwei Frauen

Gitaï stellt der verheirateten Rivka eine Schwester zur Seite, die zu einer ungewollten Ehe gezwungen wird. Der Mann, den sie liebt, hat sich durch Militärdienst als Heiratskandidat disqualifiziert. Malka ist nicht nur jünger, sondern auch rebellischer und den Überzeugungen der religiösen Gemeinschaft gegenüber kritischer als Rivka. Sie ahnt, dass ausserhalb des Quartiers mit seinen rigorosen Zwängen für ihre Lebenslust mehr Raum wäre. Rivka gerät nur deshalb mit ihrer Umgebung in Konflikt, weil sie keine Kinder hat. Ihrer Schwester gegenüber vertritt sie die orthodoxen Werte. Auch wenn sie ihr nicht direkt widerspricht, ist die Ältere doch darauf aus, die Schwester in die Gemeinschaft einzubinden und ihr die Auflehnung auszureden. Sie glaubt nicht daran, dass Malka die Familie verlassen könnte. Tatsächlich fügt diese sich und heiratet einen gesetzestreuen Juden. In der Hochzeitsnacht findet eine pflichtmässige Vergewaltigung statt, die um so schrecklicher wirkt, als ihr Mann überzeugt ist, es handle sich dabei um einen Gott wohlgefälligen Akt. Trotzdem beginnt die junge Frau erst für sich und ihre Glücksansprüche zu kämpfen, als sie erkennt, dass sie ihre Schwester nicht retten kann.

Starke Schauspielerinnen

Die Sorgfalt, die Gitaï in die Entwicklung der Handlung legt, die Zeit, die er sich nimmt, um das Lebensgefühl in Mea Shearim auf der Leinwand entstehen zu lassen, die Einfachheit der Geschichte, die er erzählt und die Reduktion auf wenige Personen und Schauplätze - das alles funktioniert, weil er sich auf ein Ensemble von hervorragenden SchauspielerInnen verlassen kann. Meïtal Bardas Intensität und Leidenschaft lässt Malka zur heimlichen Hauptfigur werden. Die Zwanzigjährige ist die einzige der Crew, die selber aus dem Milieu stammt, in dem der Film spielt. Es braucht eine starke Schauspielerin wie Yael Abecassis, um daneben als ruhigere Rivka den Film zu tragen. Die Männer, Yoram Hattab als Meir, Sami Hori als Malkas Mann und der israelische Palästinenser Yussef Abu Warda als Rabbi, sorgen dafür, dass es in diesem Film keine Schwachstelle gibt.

19.02.2021

5

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Kommentare

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vim

vor 23 Jahren

mal ein etwas anderer film mit anderem hintergrund!


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