Die innere Sicherheit Deutschland 2000 – 109min.

Filmkritik

Im Untergrund zu Hause

Filmkritik: Philippe Blumenthal

"Die innere Sicherheit" ist eine Mischung aus Polit-Thriller und Familientragödie auf unbekanntem Terrain, ausgestattet mit einem Hauch Ironie, deren Biss bisweilen ins Bestürzende reicht. Christian Petzold gelingt es, Charaktere schmackhaft zu machen, die eigentlich abstossend sein sollten. Er lässt uns hin- und hergerissen in einer Welt taumeln, die für uns "Normalsterbliche" kaum greifbar ist, aber durchaus begreifbarer wird.

Julia Hummer ("Absolute Giganten") spielt Jeanne, fünfzehn Jahre alt und keineswegs ein Mädchen wie alle anderen. Das liegt allerdings nicht an ihr, sondern an den Umständen ihres Lebens: Wegen der im Film nie ausgesprochenen, aber stets angetönten Vergangenheit ihrer Eltern (Barbara Auer und Richy Müller), leidet sie an Verfolgungswahn, Angst und Isolation. Ständig ist sie auf der Flucht, hat keine Freunde. Als die drei in Portugal zufällig aufgespürt werden, kurz bevor sie sich nach Brasilien in eine scheinbar heile und für sie normale Welt absetzen können, flüchtet das Trio nun mittellos nach Deutschland, wo eine von Paranoia geprägte und kräftezehrende Hetze beginnt, immer wieder unterbrochen von kurzen Hoffnungsschimmern, die jäh zerschlagen werden. Und als Jeanne ihren in Portugal kennengelernten Freund wieder trifft, kommt es zum unvermeidlichen Drama.

An diversen Festivals wurde "Die innere Sicherheit" bereits herumgereicht, u.a. lief der Film an den Internationalen Filmfestspielen von Venedig, in Berlin und in Cannes, von wo er doch die eine oder andere Vorschusslorbeere mitgebracht hat.

Der Regisseur schrieb diese Geschichte, nachdem er in einer Zeitung von der Erschiessung des RAF-Terroristen Wolfgang Grams gelesen hatte, die 1993 in Deutschland für grosses Aufsehen sorgte. Da stand etwas von menschlichen Zügen, die man solchen Leuten gemeinhin nicht zutraut. Genau damit spielt Petzold geschickt, gibt er seinen Protagonisten doch so viel Menschlichkeit, die sie durch ihre Ausweglosigkeit anzunehmen scheinen, dass wir uns fast selber wieder finden, oder uns zumindest in deren Situation hineinzudenken vermögen. Zufälle prägen das Leben, man kann es noch so genau planen, und wenn Resignation die Rückkehr zum Normalen kreuzt, bleibt ein Scherbenhaufen übrig.

"Die innere Sicherheit" ist ein komplexer Film mit einer schwierigen Ausgangslage, nicht für jedermann einfach zu goutieren. Der beste deutsche Film seit Joseph Vilsmaiers umstrittenem Kriegsdrama "Stalingrad", mit einer beeindruckenden schauspielerischen Leistung von Julia Hummer und Richy Müller, der distanziert und kühl spielt, fast als sei ihm die Rolle auf den Leib geschrieben worden. Intelligent, scharfsinnig, ohne grossen materiellen Aufwand und schnörkellos in Szene gesetzt, weit über dem Fernsehniveau vieler deutscher Filme.

07.03.2022

4

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Kommentare

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kinokel

vor 23 Jahren

... wurde diesem Film mit Recht zu erkannt. Er zeigt in beklemmender und spannender Weise wie eine deutsche Familie ihre terroristische Vergangenheit versucht aufzuarbeiten und zu entkommen. Die Geschichte wird großartig von den 3 Hauptdarstellern getragen, ohne sinnlose Action a la Hollywood. Unbedingt ansehen! Falls die Möglichkeit besteht, sollte "Black Box BRD" nicht versäumt werden. Ein Dok.-film zum gleichen Thema und Zeit....Mehr anzeigen


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