Filmkritik
Erinnerungspuzzle
Langsam, sehr langsam fügt sich ein Teil zum anderen. Lucía (Paz Vega) hat sich auf eine Mittelmeerinsel geflüchtet, nachdem ihr von der Polizei der Unfall ihres Verlobten Lorenzo (Tristan Ulloa) gemeldet wurde. Was als Flucht begann, wird für Lucía in „Lucía y el Sexo“ schliesslich zur Auseinandersetzung mit der intensiven Liebesbeziehung zum Schriftsteller Lorenzo, die nach einem strahlenden Beginn in Gereiztheit und Streit endete. Julio Medem gelingt nach "Los Amantes des Circulo Polar" ein weiteres Meisterwerk von schwebender Leichtigkeit.
Julio Medem springt rückwärts und vorwärts in seiner Geschichte. Erzählt von Lucía auf der Insel. Erzählt im nächsten Kapitel (ja, der Film ist in Kapitel unterteilt) vom Sex, den Lorenzo Jahre zuvor in einer Vollmondnacht mit einer ihm unbekannten Paella-Köchin auf ebendieser Insel hatte. Gleich darauf zeigt Medem eine Begegnung in einem Madrider Restaurant: Lucía und Lorenzo lernen sich kennen - eine der schönsten Szenen des Films. Von dem frisch gebackenen Liebespaar springt die Handlung zur Unbekannten auf der Insel, die von Lorenzo schwanger ist.
Nach dieser sprunghaften Exposition halten sich die Rückblenden zwar mehr oder weniger an die Chronologie, doch einfacher wird die Sache dadurch nicht, denn jetzt vermischen sich die Ereignisse des Films mit dem Buch, das Lorenzo zuletzt geschrieben hat. Es bliebt dem Publikum bis zuletzt unklar, ob man nun den Prozess des Verstehens, der in Lucia vorgeht, nachvollzieht, oder ob man quasi in Lorenzos Buch hineingezogen wird.
Die Ereignisse, von denen man nach und nach erfährt, haben Lorenzo in eine Depression getrieben. Er hat, so erfährt man, zwar die Unbekannte von der Insel nie wieder getroffen, dafür jedoch die gemeinsame Tochter Luna und deren Kindermädchen Belén. Während Belén Lorenzo verführen will, stirbt die unbeaufsichtigte Tochter auf grauenvolle Weise. – Ist dies alles nun geschehen, oder hat Lorenzo es erfunden?
Die Themen des Films wiegen schwer. Es geht um Liebe, Schuld und Tod. Zudem spricht Medem eine symbolbeladene Sprache: Auf der Insel ragt ein Leuchtturm phallisch in die Höhe, daneben führt ein Loch in die Tiefe der Erde oder vielmehr des Meeres. Mond und Sonne tauchen bei jeder Gelegenheit auf. Trotzdem wird das Gewicht nie erdrückend; Medem verhindert dies durch die bruchstückhafte Erzählform, Bilder voller Licht und die leichthändige Verwirrung aller Ebenen. Was dabei herauskommt ist ein Film mit einem eigenartigen, schwebenden Reiz, der ganz und gar die Handschrift des spanischen Filmmagiers Julio Medem trägt.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung