CH.FILM

Angel on the Right Frankreich, Italien, Schweiz, Tadschikistan 2002 – 92min.

Filmkritik

Alte Rache rostet nicht

Filmkritik: Eduard Ulrich

Auch Odysseus war mehr als 10 Jahre von zu Hause weg - er hatte aber ehrbare Gründe, was man von Hamro wohl nicht behaupten kann, den viele offene Rechnungen erwarten, als er aus Moskau in sein tadschikisches Heimatdorf zurückkehrt. Dort wird ihm die Schlinge bald um den Hals gelegt und geduldig zugezogen.

Einem tadschikischen Mythos zufolge sitzen auf den Schultern eines Menschen zwei Engel: Derjenige auf der Linken verzeichnet die schlechten Taten, derjenige auf der Rechten die Guten. Überwiegen am Ende des Lebens die Guten, folgt das Paradies, sonst die Hölle.

Auch wenn nicht bekannt ist, was passiert, wenn die Guten die Schlechten aufwiegen, wird sich bei Hamro (beeindruckend: Maruf Pulodzoda) diese Frage nicht stellen: Dass seine guten Taten wohl kaum gross ins Gewicht fallen, verrät schon sein finsterer Blick auf dem Weg zurück in sein Heimatdorf, wohin er wegen des bevorstehenden Todes seiner Mutter gerufen wurde. Nicht genug, dass er eine langjährige Haftstrafe in Moskau verbüsst und sich danach als Krimineller durchgeschlagen hat. Dieser grimmige Mittdreissiger hat tatsächlich allen Grund zur Sorge: Er hat sein Dorf vor vielen Jahren in Unfrieden verlassen, und viele Rechnungen sind noch offen.

So kann Hamro seiner Vergangenheit nicht entfliehen, und das Geschehen nimmt seinen unerbittlichen Lauf. Es ist spannend und amüsant zu verfolgen, wie der Strolch in einen Strudel von Ursache und Wirkung gerät, aus dem schliesslich nur ein Strohhalm eine kleine Rettungschance zu bieten scheint.

Der tadschikische Regisseur und Drehbuchautor Djamsched Usmonow erzählt dieses moderne Drama mit moderner Technik (in 35 mm gefilmt) und mit einem untrüglichen Gespür für Komik und visuelle Wirkung. Ob uns der Auftritt in einem Restaurant an denjenigen in einem Western-Saloon erinnert oder ob uns das perfekte Zusammenspiel von Handwerkern beeindruckt, die ein Haus in zwei Tagen total renovieren - immer bleibt die Inszenierung schlank, lakonisch, konzentriert, effizient, geradlinig und schwungvoll.

Mit einem Augenzwinkern werden archaische Vorstellungen mit zivilisatorischen Errungenschaften kombiniert, die nichts daran ändern können, dass unsere Weltsicht, unser Empfinden und Funktionieren zu einem wichtigen Teil von der Interpretation der eigenen Eindrücke abhängen: Was wir glauben, ist oft wirksamer als die scheinbar objektive Realität. Und wer endlich einmal das berühmte rote Telefon, den Draht nach Oben, im praktischen Einsatz sehen möchte, sollte sich das Vergnüngen dieses rundum gelungenen Films mit seinen überzeugenden Schauspielern nicht entgehen lassen.

16.09.2021

4

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Mehr Filmkritiken

Typisch Emil

Hölde - Die stillen Helden vom Säntis

E.1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer

Tschugger - Der lätscht Fall