CH.FILM

Jolly Roger Schweiz 2003 – 94min.

Filmkritik

Radio Days

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Menschen diesseits zwanzig und jenseits von Zürich werden es kaum mehr wissen: Radio 24 gab es nicht schon immer, vor allem nicht legal, und Roger Schawinski war nicht immer schon Buchautor und Millionär im Hauptberuf, sondern einst Pirat und damit nicht allein in der Schweiz. Von damals erzählt Beat Hirt in seinem Dokumentarfilm "Jolly Roger". Ein höchst spannendes Kapitel Schweizer Mediengeschichte.

Es war einmal eine Zeit, da war das Schweizer Radio in den Ohren junger Menschen etwa dieselbe Beleidigung wie das Schweizer Fernsehen heutzutage. Aus "Radio Beromünster", wie es damals noch hiess, plärrten den lieben langen Tag Hudigäggeler und Geburtstagsgrüsse, und das Beste kam nachts, nämlich nichts, weil es ein Nachtprogramm noch nicht gab. Das waren die Siebziger, jene turbulente Zeit, in der sich die Jugend auch hierzulande die Haare wachsen liess, die Stones hörte und Steine warf, wenn ihr irgend etwas nicht passte.

In jener Zeit tauchten die so genannten Radiopiraten auf, das heisst, sie wollten in die Luft mit einer vernünftigen Alternative zum unhörbaren Staatsradio. Ihre Geschichte erzählt Beat Hirt in "Jolly Roger", besonders diejenige von "Radio 24" in den ganz wilden Jahren: Damals, als Roger Schawinski und seine Mannen vom italienischen Pizzo Groppera aus sendeten, weil es ihnen in der Schweiz per Gesetz versagt war. Mit dem damals stärksten UKW-Sender der Welt, unglaubliche 130 Kilometer weit bis nach Zürich hinein.

Zahlreiche Original-Dokumente von privaten Filmern und aus den Archiven der SRG zeichnen den fast vier Jahre dauernden Radiokrieg nach. Manche von Schawinskis einstigen Wegbegleitern - Frank Baumann (sauglatt), Markus Gilli (augenzwinkernd), Dani Wyler (kurz und bündig), Christian Heeb (wer ist denn das?) oder Röbi Koller (treuherzig) - erinnern sich an die vielen Demos, noch mehr angedrohten oder erfolgten Schliessungen des Senders, an die Zeit eben, als Radiomachen reine Subkultur war und die es taten als Rockstars galten.

Das ist alles höchst amüsant erzählt und fein gemacht. "Jolly Roger" ist bei weitem nicht der Über-Bückling vor Roger Schawinski, den man erwarten mag - im Gegenteil. Beat Hirt leuchtet das Phänomen der Radiopiraterie breit aus, macht auch jene Pioniere ausfindig, die ein schönes Stück vor Schawinski on air gingen, weil sie Tüftler waren und keine geringere Sauwut auf das SRG-Monopol im Ranzen hatten. Gleichzeitig zeigt Hirt aber, warum es gerade "Roschee" Schawinski zur lebenden Legende brachte, während andere dieser Tage zwar "Isch mini Idee gsi!" rufen und damit jenen Satz, der zu Schawinskis eigentlichem geworden ist, aber es trotzdem niemanden kümmert.

Schawinski hatte eben nicht nur den dickeren Schädel als alle anderen, sondern auch einen mit Visionen und Geschäftssinn drin, und nicht zuletzt einen, der auch schon gut aussah, als sein krauses Haar darauf noch nicht gefärbt war. Und noch etwas macht Hirt gut, den übrigens Michael Moores "Bowling for Columbine" zu seinem Film angeregt haben soll: Er lässt alle Leute reden, auch Schawinskis Intimfeind Armin Walpen, seinerzeit auf Bundesebene mit dem Dossier SRG-Monopol betraut und heute oberster Fernseher im Lande. Gerade weil nicht alles Roger ist in "Jolly Roger", ist alles "roger", der Film ein historisches Seminar erster Güte. "Find i guät!"

19.02.2021

4

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Kommentare

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tropic93

vor 20 Jahren

roschee ist einfach kult! (m)ein vorbild!


ailinne

vor 20 Jahren

Ich habe zwar noch nicht den Film gesehen, aber live so ziemlich einiges erlebt. Vom Aufbrechen plombierter Räume, vom aufheizen eingefrohrener Sendeanlagen, vom einlegen von vorproduzierten Bändern, vom Sitzstreik im Tunnel des Pizzo Groppera, vom übernachten droben (damit man vor den Caribiniere dort war), über das eintippen von tausenden von Adressen bis zum eigenen Piratenradio. Werde mir den Film schon noch anschauen, um zu sehen, welche Details so vergessen und verschiegen wird. ZB was mit den vorfrankierten Briefen die täglich während der Zürcher Unruhen in etwa bis zu drei Wäschezeinen voll eintrafen geschah und wie Schawi es erreichte, dass seine Zuhörer ruhig blieben und die Caribiniere in Ruhe liessen...Mehr anzeigen


schalk007

vor 20 Jahren

Ich bin von diesem Film total begeistert. Absolut spannend, was damals in der Schweiz geschah. Auch wenn ich kein Fan bin von Roger Schawinski, die Geschichte von Radio 24 ist nicht nur spannend, und informativ sondern auch extrem witzig. Das Publikum hat am Schluss geklatscht. Uebrigens ein kleiner Geheimtipp: Nach dem Rolltitel kommt noch eine kurze Anekdote...Mehr anzeigen


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