Solino Deutschland 2003 – 120min.

Filmkritik

Ewig lockt der Süden

Filmkritik: Andrea Bleuler

Die erste Pizzeria im Ruhrpott war ein gewaltiges Ereignis. Der in Deutschland aufgewachsene türkische Filmemacher Fatih Akin zeichnet die fiktive Chronik einer Secondo-Familie und verliert sich in schwärmerischer Italophilie.

Der Anfang ist voller Schwung: In den Sechzigerjahren beschliesst Romano (Gigi Savoia) mit Frau Rosa (Antonella Attili) und den Söhnen Gigi (Nicola Cutrignelli) und Giancarlo (Michele Ranieri) von Süditalien ins graue Duisburg zu ziehen - was die Motivation für diese lebensverändernde Entscheidung war, wird ausgeblendet.

Die Frau des Hauses ist nicht besonders begeistert. Und um sich ein Stück Heimat ins fremde Land zu holen, beschliesst die Familie, eine Pizzeria zu eröffnen. Mamma kocht. Papa serviert. Der Ort wird zunächst Treffpunkt für die Gastarbeiter, dann Quartierereignis und schliesslich kommen gar die Leute vom Film vorbei.

Es sind die Details in der Ausstattung, die authentische Besetzung und die kleinen Anekdoten über die kulturellen Differenzen aus der Kellerküche und Quartierstrasse, die in dieser Phase der Films mitreissen. Dann trifft man dieselbe Familie 20 Jahre später wieder – immer noch auf der Suche nach ihrem Glück, doch hat jedes einzelne Mitglied in Zwischenzeit eigene Träume entwickelt.

Deutschland-Star Moritz Bleibtreu spielt überzeugend den etwas grobschlächtigen erwachsenen Giancarlo, der sich mit Gaunereien durchschlägt, mit Drogen experimentiert und die Freundin seines Bruders begehrt (Patrycia Ziolkowska). Barnaby Metschurat ist als stets viel erfolgreicherer Bruder Gigi besetzt, der seine ersten Gehversuche als Filmer macht – und lässt in seiner Interpretation beim besten Willen keine italienische Abstammung erkennen.

Visuell bezieht sich Regisseur Fatih Akin ("Im Juli") auf die italienische Filmgeschichte, insbesondere den Neorealismus. Doch der Tiefgang, den die Optik des Films verspricht, wird auf inhaltlicher Ebene kaum gehalten.Von Träumen, Liebe, Verrat, Trennung und Tod will Akin erzählen und endet auf dem Niveau von "Pizza, Pasta und La Famiglia". Bruderzwist, betrügende Mannsbilder und rasende Leidenschaft mögen zwar untrennbar mit Italianita assoziiert werden – jene Themen anzureissen genügt aber nicht, um über eine oberflächliche Nostalgie hinauszukommen.

20.04.2011

3

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

8martin

vor 4 Jahren

Der Film verfolgt die Auswanderung italienischer Gastarbeiter nach Deutschland über 20 Jahre hinweg. Dabei zeigt Regisseur Fatih Akin viel Gefühl für die Italienische Seele. Wenn das Temperament mit ihnen durchgeht, pendeln die Charaktere zwischen handfestem Jähzorn und liebevoller Umarmung, mitunter auch unter Zuhilfenahme von Tränen. Anfangs konzentriert sich der Plot auf die Eltern Rosa (Antonella Attili) und Romano Amato (Gigi Savoia), die eine Pizzeria aufmachen. Aber auch die beiden Söhne Gigi (Barnaby Metschurat) und Giancarlo (Moritz Bleibtreu) gehören zur Integration dazu. In der zweiten Hälfte stehen sie im Mittelpunkt. Gigi ist der klügere, ehrlichere junge Mann, der Filme machen will und seiner Sandkastenliebe Ada (Tiziana Lodato) versprochen hatte, aus dem Norden Schnee mitzubringen. Giancarlo neigt zur Illegalität, ist etwas aufbrausend und schmückt sich sogar mit fremden Federn, z.B. denen seines Bruders. Er gibt den Film für seinen eigenen aus und schnappt seinem Bruder auch noch dessen Freundin Jo (Patrycia Ziolkowska) weg. Mutters Krankheit und Vaters verletzter Stolz machen fast einen Pendelverkehr zwischen Solino und dem Ruhrgebiet nötig, denn der Alte ist in Deutschland und Mutter Rosa hat das Heimweh nach Italien zurückgezwungen. Gigi und Ada lassen die Kinderliebe wieder auferstehen.
Die ganze Familiengeschichte wird mit viel turbulentem Charme aber auch mit ruhigen Emotionen erzählt. So kann man sowohl ergriffen sein wie beim Wiedersehen der Brüder am Ende, wenn da nicht Gigis letzter Film im Dorf gezeigt würde, in dem es um ein dubioses Straßenschild geht, das nicht feststehen will.
Gastarbeiterproblematik mal nur menschlich d.h. mit Stärken und Schwächen und viel Empathie, wie es bei einem Familienclan eben so üblich ist.Mehr anzeigen


Gelöschter Nutzer

vor 12 Jahren

Solino wühlt in mir viel auf. 2003 als dieser herauskam stand ich selber vor einer harten Probe...


Mehr Filmkritiken

Typisch Emil

Hölde - Die stillen Helden vom Säntis

Tschugger - Der lätscht Fall

Landesverräter