CH.FILM

Namibia Crossings Schweiz 2004 – 92min.

Filmkritik

Reise zu den Grenzen der Weltmusik

Filmkritik: Irene Genhart

"Namibia Crossings" ist ein packender Doku-Essay über ein Schiffbruch erleidendes Weltmusik-Projekt - und eine betörende Liebeserklärung an Namibia, seine Bewohner und die Musik.

Unterwegs-Sein. Fremden und Fremdem begegnen. Pittoreske Landschaften entdecken. Musik und Geräusche. Dazu: Schnurrige Gedanken. Oft assoziativ, manchmal erklärend, immer geprägt von der ureigenen Weltbetrachtungsweise des Regisseurs: Das sind die Filme von Peter Liechti wie etwa "Hans im Glück" (2003) oder "Signers Koffer". Und nun: "Namibia Crossings". Gefilmt im Spätsommer 2001 in Namibia, fertig gestellt im Frühjahr 2004 in der Schweiz.

Das Gerüst: Ein Weltmusik-Projekt: Im Spätsommer 2001 begibt sich die "Hambana Sound Company", deren Mitglieder aus Angola, Namibia, Russland, der Schweiz und Simbabwe stammen, in Namibia auf Konzerttournee. Gespielt wird eine Fusion aus westlichen und afrikanischen Sounds. Ziel des auf sechs Wochen angelegten Unterfangens ist, die musikalische Herkunft abzustreifen und in der Begegnung mit lokalen Musikern zu den Wurzeln der Musik zu finden.

Liechti begleitet das Experiment mit Kamera und Mikrofon und erstellt eine Art filmisches Tagebuch. Nach knapp zwei Wochen gemeinsamem Proben und einem ersten Konzert in Namibias Hauptstadt Windhoek begibt man sich auf Reise. Bis hierher klingt alles, was die "Hambana Sound Company" spielt, nach ausgefeilter Weltmusik, und "Namibia Crossings" scheint auf der Weltmusik-Film-Welle zu surfen, die Wim Wenders 1999 mit "Buena Vista Social Club" auslöste.

Doch Liechti ist kein Zeitgeistreiter. Er bricht das Genre, verändert den Fokus. Nimmt die Tournee als Vorwand, um in die Landschaften, Farben, Töne und Klänge des ehemaligen Südwestafrika einzutauchen, einen Blick zu werfen auf den jungen, über weite Strecken sandigen Staat, in dem Kolonisation und Apartheid leuchtende Narben hinterliessen, wo Städte deutsche Namen tragen, Aids ganze Generationen auslöschte, Elefanten würdevoll ihrer Wege ziehen und die Menschen der allgegenwärtigen Armut mit ansteckender Lebensfreude trotzen.

Als zunehmend utopisch entpuppt das geplante Projekt: Der scheinbar gemeinsame Traum wird getragen von unterschiedlichsten persönlichen Motivationen: Die Schweizer suchen neue Impulse für ihre Musik. Der deutschstämmige Namibier Bernhard Göttert will seiner Heimat etwas zu gute tun. Alle andern suchen (bloss) einen guten Job. Also wird "Namibia Crossings" zum Protokoll eines Schiffbruchs - und ist dabei der vielleicht ehrlichste Film, der über Fusion- und Weltmusik je gedreht wurde. Denn er zeigt, wo Grenzen liegen. Wo sich trotz gutem Willen am Rande der Wüste einige Buschtrommeln dezidiert dagegen stemmen, mit einem Schweizer Akkordeon gemeinsame Sache zu machen. Aus dem versuchten Miteinander wird immer mehr ein Nebeneinander.

Am Schluss machen ein paar Nichtafrikaner einen Trip zur Geisterstadt Kolmannskuppe. "Dieser Ort macht mich traurig", sagt die Russin Polina. Der Schweizer Hans entlockt im Türrahmen eines halb sandgefüllten Hauses dem Akkordeon einige Töne, die sich in der windigen Stille der Wüste verlieren. Da ist Liechti dann angekommen bei den Wurzeln der Musik: in der absoluten Stille. Und wenn er, als der Film zu Ende geht, sagt "vielleicht ist Wehmut das deutsche Wort für Blues", geht kurz ein Engel durch den Kinosaal: So schöne, simple, wahre Sätze, wie sie Peter Liechti spricht, trifft man - nicht nur im Kino - selten.

01.10.2004

5

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Kommentare

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chaschper

vor 20 Jahren

Spannendes Land, interessantes Experiment, wunderbare Bilder


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