El Aura Argentinien, Frankreich, Spanien 2005 – 134min.

Filmkritik

Mann über Mord

Stefan Gubser
Filmkritik: Stefan Gubser

Der ist dann mal länger weg. Fabián Bielinsky, diesen Sommer früh verstorben, zeigt mit seinem letzten Film, was für ein feinsinniger Regisseur er war. Und so wird das hier auch zum Nachruf. Frei nach dem Motto: Ist das Herz voll, wird der Mund schaumig.

Die Hoffnung starb zuerst - neulich in Argentinien. Kaum hatte Fabián Bielinsky "El Aura" abgedreht, sagte sein krankes Herz "adiós". Noch keine fünfzig war der Mann, dem das Feuilleton nicht nur im Lande Maradonas als neuem Goldjungen des argentinischen Kinos huldigte, nachdem ihm mit seinem Erstling "Nueve Reinas" ein Volltreffer geglückt war, der ähnlich hohe Wellen warf wie die Hand Gottes in Mexiko 1986. Zwei Trick-Diebe stromern durch Buenos Aires; sie stehen vor dem Coup ihres Lebens, und am Schluss bleibt ihnen nichts als die Unsicherheit des Zuschauers, was denn nun wirklich war. Wenn der Preis stimmt, oder die Not es verlangt, wird jeder zur Hure, war die bitterböse Erkenntnis eines Filmes, der das Dasein im ausgebluteten Argentinien augenzwinkernd als die atemlose Abfolge wechselseitigen Abzockens entlarvte.

Drehte sich in "Nueve Reinas" alles um die Mechanik der perfiden Täuschung, so wird in "El Aura" die Faszination des perfekten Verbrechens zum Thema. Selbiges ist die Obsession eines Tier-Präparators (eindrücklich: Ricardo Darín), der nicht viel weniger tot zu sein scheint als jene Bestien, die er von Berufes wegen für naturhistorische Museen zu schein-lebendigen drapiert. Als er auf einem Jagdausflug in Patagonien - mehr aus Versehen als vorsätzlich - den Besitzer einer Lodge (Manuel Rodal) erschiesst, sieht er sich plötzlich verführt, seine theoretisch erprobten Fähigkeiten in der Praxis zu beweisen. Will er nicht als Mörder entdeckt werden, muss er für das Gelingen eines Überfalls sorgen, den der Erschossene geplant hatte, um seine Schulden zu begleichen. Das tönt so kompliziert wie es lebensgefährlich ist; erst recht für einen Epileptiker, der immer in den dümmsten Momenten seine Anfälle hat.

Wie wird man zum Verbrecher? Es ist Bielinskys alte Frage, gestellt in einem neuen Film. Während er in "Nuevas Reinas" die Kriminalisierung des Menschen als nervöses komödiantisches Spiel inszenierte und sie als die notwendige Folge ökonomischer Umstände begreift, wird sie in "El Aura" in ungleich höherem Masse individualisierter, psychologisierter beantwortet, ja gänzlich mit der Eigenart der Figur begründet. Und ein wenig möchte man meinen: Die Natur ist schuld. Formal ist auch Bielinskys Zweitling stark der euro-amerikanischen Tradition verpflichtet und sowohl vom traditionell ärgerlichen Surrealismus des südamerikanischen Kinos als auch dem dokumentarischen Engagement der jüngsten Filme von Altmeister Fernando Solanas so weit entfernt wie die patagonischen Wälder von der Haupstadt Buenos Aires. "El Aura" entfaltet sich zu einem langsamen, düsteren und atmosphärischen Thriller, der trotz seiner über zwei Stunden eher zu kurz geraten ist als zu lang. Genau wie das Leben des Fabián Bielinsky.

01.12.2020

4

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Kommentare

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ughtom

vor 17 Jahren

Stimme absolut mit meinem "Vorredner" überein; der Film ist sicher nichts für Popcorn-Kinogänger, denen wäre er zu gemächlich. Wer sich aber auf ihn einlässt, erlebt einen atmosphärischen, spannenden und sehr stark gespielten Streifen.


jugulator

vor 18 Jahren

Aus Argentinien kommt dieser "Film Noir" der wiederum für das anspruchsvolle Kinopublikum geignet ist. Tolle Story und morbide Stimmung ist garantiert. Empfehlenswert nur für Cinephils, Gelegenheitskinogänger die sich vorweigend Hollywood Blockbuster reinziehen könnten eventuell abgeneigt sein.Mehr anzeigen


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