Delirious USA 2006 – 107min.

Filmkritik

Das Leben der anderen

Serge Zehnder
Filmkritik: Serge Zehnder

"Delirious" von Tom DiCillo begegnet dem Phänomen des "Promis" auf kritisch-satirische Weise und schildert verträumt und toll besetzt, inwiefern sich Star und Paparazzo gleichen.

Toby (Michael Pitt) ist obdachlos und lebt in einem Müllcontainer in New York City. Aus diesem klettert er eines morgens heraus und hat, kaum ist der Vorspann vorbei, eine flüchtige Begegnung mit dem Popsternchen K'Harma Leeds (Alison Lohmann). K'Harma ist das Opfer von hetzenden Paparazzi - unter ihnen Les Galantine (Steve Buscemi), welcher Toby schimpfend und fluchend bei sich einziehen lässt und ihm ein Bett in seinem Wandschrank anbietet. Galantines Leben ist eine bittere und leere Jagd nach dem grossen "Bild", von welcher sich der brotlose Toby fasziniert einspannen lässt und somit unweigerlich in die Welt von Sein und Schein gerät, um, man ahnt es, selbst berühmt zu werden.

Es ist erstaunlich, wie viel Tom DiCillo aus dem überkonstruierten Plot herauszuholen vermag. Dies ist in vieler Hinsicht ein Verdienst des beeindruckenden Ensembles. Kaum ein zweiter Akteur spielt das schmutzige Wiesel mit dem guten Kern derart überzeugend wie Buscemi. Während Pitt mit starker Präsenz und naivem Optimismus einen Knaben darstellt, der dazu geboren scheint, berühmt zu werden. Eine Qualität, die auch Alison Lohman als dümmlich zerbrechliches Popblümchen besitzt und DiCillo sie als berührende Mischung von Britney Spears und Judy Garland zeichnet.

Der amerikanische Filmkritiker Roger Ebert lamentierte vor einer Weile, dass er früher danach gefragt wurde, welche guten Filme er gesehen hat und heutzutage bloss noch seine Meinung über Brad und Angelina oder Tom und Katie zum Besten geben soll. Diese Verschiebung des öffentlichen Interessens, das zuweilen schon fast kultähnliche Züge angenommen hat, ist auch bei "Delirious" ein Motiv. Allerdings vermeidet DiCillo eine satirische Breitseite gegen Paparazzi abzufeuern, und zieht die Stars als Teil der Gleichung mit hinein.

Seit "Johnny Suede", der einst einem anderen Mr. Pitt erste Schauspielnachweise verschaffte, kreierte DiCillo immer wieder eine Titelfigur, die zwischen Traum und Realität wandelt. Sein Meisterstück "Living in Oblivion" war eine brillante Verknüpfung von filmischer Illusion und alltäglichem Wahnsinn. "Delirious" schlittert an seinem vollen Potential zuweilen vorbei, und die grob skizzierte Freundschaft zwischen Toby und Les wirkt aufgesetzt. Und dennoch ist das Ende berührend und in so vieler Hinsicht treffend. Der Paparazzo und sein Schützling, der Jäger und Gejagte und wie DiCillo zu behaupten wagt, der Schöpfer und seine Kreation, sind sich soweit entfernt und doch so nah.

21.03.2018

4

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Kommentare

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spaceodysee

vor 17 Jahren

Buscemi mag ich eigentlich sehr gerne, aber die Geschichte ist langweilig. Habe mehr erwartet! Schade...


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