Filmkritik
Kennzeichen D
«Gesucht wird Jesus Christus.» Gerade einmal diesen ersten Satz seiner sehr persönlichen Sichtweise auf den christlichen Messias konnte der Ausnahmekünstler Klaus Kinski an einem Novemberabend 1971 in der mit 5000 Zuschauern voll besetzten Berliner Deutschlandhalle sprechen. Dann unterbricht der erste Zuhörer Kinskis begonnenen rezitatorischen Rundumschlag gegen falsche Propheten - knappe 30 selbst geschriebene Seiten der Abkehr vom Jahrhunderte lang zum Machterhalt instrumentalisierten «Kirchen-Christus», eine Würdigung des Sozialrevolutionärs der Bergpredigt, dem Utopisten und Vordenker, Rumtreiber und Arbeiter Jesus.
Den Inhalt dieses «Kinski-Evangeliums» kannte man bislang nicht, wohl aber einen einprägsamen Ausschnitt dieses Abends aus Werner Herzogs «Mein liebster Feind» - eine Szene, die einmal mehr Kinskis Hang zum Cholerischen seinem deklamatorischen Ausnahmetalent vorzieht und so das zugegeben zum «Gesamtkunstwerk» untrennbar gehörende Randale-Klischee und damit den Voyeurismus des Zuschauers bedient.
Doch der legendäre, hier erstmalig umfassend «bebilderte» Jesus-Abend ist in erster Linie deshalb aufschlussreich, weil man hautnah einen Schauspieler um das Recht auf die Ausübung seines Berufs ringen sieht - gegen ein Auditorium «aufgeklärter Erwachsener» voller Spott und Hohn. Denn die Wechselwirkung zwischen Kinski und seinem Publikum ist symptomatisch: Was als Soloperformance eines Egomanen beginnt, schaukelt sich hoch zum Massen-Sit-In. Ein ausgesprochen deutscher Abend in diesem denkwürdigen Herbst.
Und Dokument eines grandiosen Missverständnisses: Denn Kinskis Text - ließe man ihn denn zu - beinhaltet Statements zu den «schreienden Müttern von Vietnam», setzt ureigene christliche Ideale in Beziehung zur Tagespolitik und bietet in seiner wilden Mischung aus Bibelzitaten, Interpretationen und rhetorischer Brachialkritik neben aller (dem damaligen Publikum vor der Folie der jüngsten deutschen Vergangenheit zu recht suspekten) Demagogie auch jede Menge Anarchismus und Revolution. Aber 1971 unterscheidet die diskurswütige Polit-Pollis im Publikum nicht zwischen dem Gesagten und dem Vortragenden, dem man lautstark seine Millionen aus den Spaghetti-Western vorwirft und mokiert, er sei «ja gar nicht Jesus». Kinski wird hier alles vorgehalten, auch das, was ihn als Rezitator auszeichnet. Sein Timing. Er solle nicht so viele Pausen zwischen den Worten machen, solle reden und seine 10 Mark pro Nase verdienen brüllen diejenigen, die eben noch für sich selbst das Rederecht forderten.
Aus heutiger Sicht vor allem fremd aber ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Bühne zur WG-Küche gemacht werden soll: Unfassbar angstfreie Hobby-SDSler postieren sich neben dem eindrucksvoll tobenden Kinski am Mikro um auch auf dieser Bühne ihren Dauerexorzismus des bürgerlich-faschistischen Geistes zu verrichten: agitieren, diskutieren, debattieren - und wenn man abgewürgt wird, skandiert der Rest «Faschist, Faschist». Einfach mal rauf auf die Bühne, Meinung machen, das gibt es allerdings nicht bei Klaus. Der predigt zwar hier Frieden, trägt Schlaghose und Harlekinhemd, aber mit furiosem Blick brüllt er auch «Gesindel», «dumme Sau» und wird so bisweilen zur tragischen Karikatur seiner selbst.
«Gesucht wird Jesus Christus» gerät dann zum beschwörenden, verzweifelten, zornigen Mantra Kinskis, mit dem er seine Kunst gegen die politische Kanzel behaupten will, vor und nach den mehrfach erfolgenden Abbrüchen der Jesus-Show. Seine Stimme kommt von weit her, konzentriert, erstaunlich weit entfernt von den Tränen, die ihm bisweilen still die Wangen entlang rinnen. Vor und nach dem Wüten, dem Gerangel mit dem Publikum sucht hier jemand öffentlich Besinnung und innere Einkehr - ein beeindruckendes Zeugnis künstlerischen Scheiterns auf hohem Niveau.
Filmaästhetisch bietet Peter Geyers Dokumentation nichts Besonderes, von einem sehr klugen Montageeinfall einmal abgesehen: In jedem Fall sollte man bis deutlich nach dem Abspann sitzen bleiben. Ansonsten ist diese Archivmaterial-Kompilation ein eindrucksvolles, bisweilen verstörendes, anrührendes und anstrengendes Dokument. Ein Abend mit Kinski eben. Nicht weniger, aber vielleicht doch mehr: Ein Abend Zeitgeschichte und ein Abend Theatergeschichte.
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Kommentare
Ein eindrückliches Zeitdokument eines polarisierenden Künstlers. Die agnostische Interpretation der Jesus-Geschichte, die teils aggressive Stimmung des Publikums und die ausdrucksstarke Rezitation bieten einen hochspannenden Film.
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