Teenage Angst Deutschland 2008
Filmkritik
Schuljungenreport
Eine nihilistische Version des «Club der toten Dichter» zeigt, wie elitäre Langeweile zu Sadismus wird, und jugendliche Hoffnungsträger zu Folterknechten mutieren. Die Erzählhaltung des Films ist dabei jedoch der Einstellung seiner Protagonisten letztlich verwandt: Eine vom Drehbuch konstruierte Versuchsanordnung wird konsequent aber distanziert durchgespielt, Empathie und echte Erkenntnisse bleiben aus.
Ein langer, dunkler Fluss, getragene Musik, eine erhabene Burg in latent beunruhigender landschaftlicher Idylle: In der dramaturgisch bereits in Film und Literatur ausgiebig ausgeloteten Isolation eines Internats formt auch hier eine Elite-Institution ihre Geister. Doch die Lehrer sind keine «oh captain, mein captain»-Idole, sie sind lebensfremd, verständnislos und überfordert.
Statt durch sozialen Dienst, Toiletten-säubern und Einzelgespräch zu sozial verantwortungsbewussten Führungskräften von morgen zu reifen, gehen einige der begüterten Zöglinge längst eigene Wege und haben einen Geheimclub gegründet, indem sie ihre quasi naturgegebene Überlegenheit reflektieren. In einer heimlich angemieteten Laube soll Freiheit gelebt werden - und natürlich Alkohol, Kokain und anderes konsumiert werden.
Doch der ungehemmte Gedankenaustausch, etwa darüber, wie man andere Menschen zur Verbesserung der eigenen Lebensumstände zur Selbsterniedrigung bringt, kippt schnell in gewaltsame «Versuche am Lebendobjekt». «Denker» Dyrbusch und Bogatsch, der seinen Mangel an feinsinnigem Intellekt durch ein Mehr an Aggression ausgleicht, haben bereits den hoch sensiblen Internatssonderling Leibnitz rekrutiert. Als der naive Konstantin Stürmer von einer Beerdigung heimkehrt, wird er für die Gruppe plötzlich interessant und nachdem er ein homoerotisch gefärbtes Aufnahmeritual durchlaufen hat, darf auch er mitmischen.
Die jungen Herrenmenschen sind allen Bemühungen der Schule zum Trotz nach wie vor gewohnt, sich zu nehmen, was sie wollen - und nach dem gemeinsamen Genuss von crystal meth ist das eines Abends die Kellnerin Valeska, die zuvor den fatalen Fehler beging, Dyrbusch abzuweisen und nun einsam am Seeufer abgepasst wird. Während Konstantin angesichts der zwangsweise Richtung Vergewaltigung führenden wachsenden Demütigungen, die Valeska zugefügt werden, wie gelähmt ist, schreitet ausgerechnet der schüchterne Leibnitz ein und verhindert das Schlimmste. Doch wirklich schlimm kommt es erst und zwar für Leibnitz selbst, der durch diesen Akt zum Opfer «befördert» wird und fortan den Folterungen und Erniedrigungen Dyrbuschs und Bogatschs ausgesetzt ist. Natürlich soll jetzt Konstantin Nibelungentreue beweisen. Seine Bewusstwerdung reift langsam und nimmt nicht die üblichen Wege.
Das charismatische Zentrum des Films bildet zweifellos der von Franz Dinda facettenreich verkörperte Konstantin Stürmer, aber auch die anderen Jungdarsteller spielen mehr als passabel. Dennoch entsteht kaum echtes Mitgefühl, bleiben dramaturgische Wendungen vorhersehbar und evoziert die «Versuchsanordnung» der Macher kaum eigene Fragen beim Zuschauer. Die Intention des Filmakademie-Abschlusswerks war sicher eine andere und das muss ebenso honoriert werden, wie die formal sehr gelungene Bild-, Ton und Setgestaltung. Am Ende aber bleibt die küchenpsychologisch motivierte Gruppendynamik konstruiert, die bewusst überhöht gesprochenen Dialoge hölzern und die Folterszenen samt grundlegender Attitüde der Figuren wirken aufgrund der mangelnden Empathie eher schal widerlich als wirklich schockierend.
Manchmal also sollte man doch lieber ein gutes Buch lesen, statt ins Kino zu gehen: Musils «Törless» zum Beispiel...
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