Le dernier pour la route Frankreich 2009 – 106min.

Filmkritik

Entzug

Filmkritik: Eduard Ulrich

Philippe Godeau arbeitete bisher als Filmproduzent und -verleiher. Nun legt er seinen ersten Film vor, der auf dem autobiographischen Werk eines beruflich erfolgreichen, aber schwer abhängigen Mittfünfzigers beruht, der sich einer Entziehungskur unterzieht. Dass man seinem Ringen mit der Sucht interessiert folgt, liegt vor allem an den SchauspielerInnen.

Der Reporter Hervé (François Cluzet), gut 50 Jahre alt, lebt mit seiner Frau und seinem 16-jährigen Sohn gut situiert zusammen, wenn er nicht auf Reisen ist. Das ist er allerdings oft, denn er ist süchtig nach dem Risiko, wenn er über Katastrophen vor Ort berichtet. Vielleicht war der Alkohol einst der Freund, der das Flattern der Nerven so abschwächte, dass es nur noch ein Kitzeln war, jetzt ist er jedenfalls ein Diktator, dem Hervé willig folgt. Die Ehe ist praktisch ruiniert, die Beziehung zum Sohn ebenfalls. Da fiel offenbar der Entschluss, einen Versuch zu unternehmen, diesen Weg nicht zu Ende zu gehen.

Nur kurz wird der demütigende Alltag des Süchtigen angedeutet, als sich Hervé auf den Weg zu einer Therapieeinrichtung macht, die abgeschieden in den Bergen liegt. Die typischen Mechanismen blitzen kurz auf, evident wird einer, als Hervé bei der Eintrittsuntersuchung vom Arzt gefragt wird, wieviel er heute schon getrunken habe, und er weniger angibt als wir ihn haben trinken sehen.

Das Regime der Entziehungskur ist anfangs hart, gnadenlos werden Verstöße geahndet. Und Hervé ist nicht allein, weder hat er ein eigenes Zimmer noch wird er individuell behandelt. Kontakt mit der Außenwelt ist unmöglich: kein Telefon, kein Fernsehen, kein Radio. Die üblichen Gruppensitzungen, bei denen alle von ihren Gefühlen und ihrer Geschichte berichten, gemeinsame Mahlzeiten und ebensolche Freizeitaktivitäten bestimmen den Tag. Spannung im doppelten Sinn bringt die Dynamik der Gruppe, der einige spezielle Persönlichkeiten angehören.

Dankbar nimmt man zur Kenntnis, dass hier nicht mit Extremfällen gearbeitet wird, sondern mit plausibel agierenden Menschen, die durch ihre Sucht stark verbogen wurden. Der Hauptdarsteller bleibt allerdings blass, was ihn zum Alki werden ließ, kann nur vermutet werden, das Dringliche der Sucht wird nicht spürbar. Er wirkt noch intakt, ist eine edle Version, der man die Schäden nicht ansieht. Der Regisseur, der auch einen wesentlichen Anteil am Drehbuch verantwortet, verzichtet auf visuelle Effekte, seine schlichten Bilder passen gut zum dokumentarischen Charakter des Sujets.

15.09.2010

3

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