I Wish Japan 2011 – 128min.

Filmkritik

Das doppelte Lottchen auf Japanisch

Filmkritik: Andrea Wildt

Mit schlichter Poesie und viel Humor erzählt Hirokazu Koreeda von Kinderwünschen dieser Tage und beweist erneut sein rares Talent, essentielle Momente der Kindheit einzufangen.

I Wish nimmt behutsam seinen Lauf. In ruhigen Einstellungen zeigt er den Alltag zweier Brüder in Japan, die aufgrund der Scheidung ihrer Eltern getrennt voneinander leben. Koichi (Koki Maeda), der Ältere, lebt zusammen mit der Mutter bei den Grosseltern im Süden Japans. Ruyonosuke (Oshiro Maeda - auch im wahren Leben der Bruder von Koki) ist beim Vater im Norden geblieben. Ihr Kontakt beläuft sich auf einige Telefonate mit ihren quietschgelben Handys. Koichi leidet unter der Trennung und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass die Familie wieder zusammenkommt. Die Kamera begleitet sie abwechselnd auf dem Weg zur Schule, beim Schwimmen, zu Hause mit den Eltern und immer wieder in vertrauten Gesprächen mit ihren Freunden.

Dieses traditionelle japanische Filmthema, die Familie, hat das Potential zur rührseligen Geschichte, entwickelt sich aber dank der schlichten Inszenierung, den teils kuriosen Dialogen und der frappanten Natürlichkeit der Kinder vor der Kamera zu einer wundervollen Momentaufnahme des Lebens. Die Geschichte erwächst sacht aus dem Alltag der Protagonisten: Der neue Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen ist Gesprächsthema und Koichis Freunde munkeln, dass im Moment, wenn sich zwei dieser Züge kreuzen, Wünsche wahr werden. Ein Hoffnungsschimmer, den Koichi so dringend braucht.

Hirokazu Koreeda streut viele bedeutungsträchtige Motive durch seinen Film: ein Asche speiender Vulkan; der Shinkansen, welcher Grossvaters Reiskuchen seine rosa Farbe diktieren soll. Und immer wieder die Natur und das Essen. Modernität und Tradition existieren im Japan von I Wish fast unscheinbar harmonisch nebeneinander. Einträchtig laufen sie wie die Schienen des Regionalzugs und des Shinkansens parallel und verteilen ein feines Netz aus Anspielungen, die jedoch nie platt ausgespielt werden.

Nach dem Meisterwerk Nobody Knows sind erneut Kinder die Hauptpersonen von Hirokazu Koreedas Film. Wenn sie durch die Strassen laufen, gibt die Kamera ihre kontemplative Ruhe auf und folgt dem Vorwärtsstürmen der Kinder. Mit energievoller Musik der japanischen Indie Rockband Quruli unterlegt gehören sie im doppelten Sinne des Wortes zu den bewegendsten Szenen des Films. Die Leichtigkeit des Kindseins wird in ihnen förmlich spürbar. Und dann geht plötzlich alles ganz schnell und einer der schönsten Kinomomente rast zusammen mit den Shinkansens auf der Leinwand vorbei. Das Wunsch-Geschrei der Kinder hallt über die Leinwand hinaus noch lange nach.

20.03.2024

4

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Mehr Filmkritiken

Typisch Emil

Hölde - Die stillen Helden vom Säntis

Tschugger - Der lätscht Fall

Sauvages - Tumult im Urwald