Michael Österreich 2011 – 97min.
Filmkritik
Der Biedermann und sein Bube
Ein Versicherungsangestellter hält sich im Keller einen Knaben? Das erinnert natürlich an den Entführungsfall Natascha Kampusch. Der Österreicher Markus Schleinzer deutet in seinem nüchtern gehaltenen Kammerspiel die sexuellen Übergriffe nur an. Die Beklemmung entsteht im Kopf.
Ein graues Haus in einem gesichtslosen Quartier. Ein Mann bugsiert seinen Wagen in die Garage, betritt die Wohnung, lässt die Rollläden runter, hantiert in der Küche und steigt dann in der Keller. Er sperrt eine Stahltür auf und begrüsst fast väterlich einen etwa zehnjährigen Knaben, der hier komfortabel haust - mit Schreibtisch, Kajütenbett, Klo, Waschbecken und Fernseher. Michael (Michael Fuith), Mitte 30, holt den Jungen (David Rauchenberger) nach oben an den sorgfältig gedeckten Tisch. Die Fenster abgedunkelt, die Türen verschlossen. Es schwant einem nichts Gutes, doch es passiert nichts Bewegendes, nichts Bedrohliches.
Dann bringt der Ältere den Jüngeren ins Bett. Schnitt. Wolfgang wäscht sich. Man ahnt es, aber man sieht es nicht. Michael, der unscheinbare Versicherungsangestellte, hält sich den Knaben wie ein Haustier - Tröstung seiner Einsamkeit und Sexobjekt. Wolfgang, der glaubt, seine Eltern hätten ihn verstossen, weil sie nicht auf seine Briefe antworten, erträgt sein Kellerdasein duldsam. Nur manchmal begehrt er auf. Psychologisch geschickt, nimmt Michael ihn auch mal zum Einkaufen oder auf einen Ausflug mit. Doch immer wieder wird Wolfgang in sein gut ausgestattetes Kellerverlies gebracht und eingeschlossen. Wird der Knabe sich befreien können?
Die Beklemmung dieses Kammerspiels, eher Psychostudie als Thriller, liegt darin, dass Gewalt und Sex draussen bleiben, spürbar sind, aber nicht gezeigt werden. Michael Fuith gibt den fürchterlichen Biedermann, der nicht auffallen will und seine pädophilen Neigungen am Knaben abreagiert, mit blasser Eindringlichkeit. Dem bietet David Rauchenberger als ausgelieferter Lustknabe überzeugend Stirn. Gerade in der Unscheinbarkeit und Beiläufigkeit öffnen sich die Abgründe einer kranken Seele und die Banalität des Bösen. Hinter der Alltäglichkeit verbirgt sich das Grauen, die sadistisch-väterliche Täterschaft. Regisseur und Autor Markus Schleinzer, sicher vom österreichischen Kollegen Michael Haneke beeinflusst, nimmt zumeist die Position des Täters ein, bleibt aber auf kühler Distanz. Sein minimalistischer Film deutet nur an, provoziert durch seine scheinbare Teilnahmslosigkeit, wirkt aber durch Auslassungen. Beklemmung und Betroffenheit entstehen im Kopf.
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