CH.FILM

Cyanure Kanada, Schweiz 2013 – 103min.

Filmkritik

Halb so giftig

Urs Arnold
Filmkritik: Urs Arnold

Ein Teenager verehrt in seiner Fantasie den Vater superheldengleich. Dann aber ist der Papa in Fleisch und Blut zurück aus dem Knast, und alles ist ein bisschen anders als vorgestellt.

Der 13-jährige Achille (Alexandre Etzlinger) hat ein grosses Idol – seinen Vater Joe (Roy Dupuis). Verwegen lebte der als Ganove zusammen mit seiner Frau Pénélope (Sabine Timoteo) ein leidenschaftliches und grossspuriges Dasein. Kurz vor Achilles Geburt war es damit dann vorbei: Joe kam in den Knast, und wuchs in Sohnemanns blühender Fantasie mit jedem weiteren Jahr Einsitzen zum grösseren Superhelden heran.

Dass Joe nun freikommt, bringt den Nachwuchs so richtig aus dem Häuschen. Anders sieht es bei Mama aus. Als Supermarkt-Kassiererin längst im unscheinbaren Bürgertum angekommen, ist sie keineswegs auf Abenteuer aus. Und sowieso: Ihr Freund hat Dackelblick und Bernhardiner, ein gutes Herz, sprich: Ist ein Mann, der ihr gut tut, und den Achille folgerichtig von ganzem Herzen verabscheut.

Pénélope macht dem gleich mit herrscherischer Breitbeinigkeit auftretenden Joe schnell die Spielregeln klar: Entweder ist er Achille ein guter Vater, oder es wird geschieden. So versucht es der Macho auf die artige Tour: Von einem klapprigen Wohnwagen aus will er in der Gesellschaft Fuss fassen, dem Sohn ein Held sein, und Pénélope endlich ins Bett kriegen.

Cyanure heisst auf Deutsch Zyankali, dem wird im späteren Verlauf des Films auch eine Bedeutung zukommen. Giftig ist jedoch bereits der Anfang. Da wird russisches Roulette gespielt, hemmungslos Liebe zu Rammstein-Klängen gemacht, ein Auto über die Klippen gerast. Knall auf Fall das alles - es scheint, als möchte sich Séverine Cornamusaz möglichst schnell möglichst weit von ihrem Vorgängerfilm, dem famosen Bergbauerndrama Coeur Animal entfernen.

Die Sequenz ist natürlich als das überdrehte Produkt des Kopfes eines 13-Jährigen zu betrachten, genauso wie einige weitere krude Einschübe, zwei davon animiniert. Grundsätzlich scheut Cornamusaz es nicht, in ihrem Film der Rationalität mitunter grell zu trotzen. Zur Selbstverständlichkeit gehört da auch, dass alle Hauptdarsteller früher oder später mal nackig zu sehen sind. So auch Roy Dupuis, hierzulande kaum bekannt, in Kanada ein blitzblanker Superstar.

Ja, Cyanure pfeift auf Konventionen, und das ist an und für sich etwas Achtbares; gleichwohl gelingt dem Film aber zu keiner Zeit der Zugang zu den Emotionen des Zuschauers. Vielleicht wäre das anders gewesen, hätte Cormamusaz noch mehr Nähe zum - von Etzlinger übrigens hervorragend gespielten – Achille aufgebaut, und so Coming-of-Age als Schwerpunkt herausgearbeitet. Stattdessen sinnt die Regisseurin im zu Ende gehenden Familienstück auf eine vehemente Zuspitzung. Als wolle sie dem Film das zuvor partout weggesteckte Ettikett "Drama" noch in aller Hast anhängen.

29.01.2013

2

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Kommentare

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weinberg10

vor 11 Jahren

Die Ablösung vom "Coeur animal" war schwer für mich. Als es mir dann gelang, war es gute Unterhaltung. Mal was völlig anderes.


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