Finding Vivian Maier USA 2013 – 84min.

Filmkritik

Exzentrische Nanny mit Kamera

Filmkritik: Andrea Wildt

In seinem Debütfilm dokumentiert der US-amerikanische Fotograf, Historiker und Filmemacher John Maloof seine Recherche nach einer rätselhaften Frau namens Vivian Maier, die ihr Leben lang als Kindermädchen arbeite und nebenbei Tausende Fotos machte. Um herauszufinden, wer hinter diesen Bildern mit origineller Handschrift steckt, befragt er zahlreiche Menschen, die sie kannten. Entstanden ist ein ambitionierter Dokumentarfilm, der mit der Grösse seines Sujets überfordert ist.

Als John Maloof 2007 die ersten Negative von Vivian Maier ersteigerte, stellte er den Karton nach erster Sichtung gleich wieder in die Abstellkammer. Für das Buch, an dem er arbeitete, waren keine brauchbaren Motive dabei. Später habe er die Bilder wieder hervorgeholt, weil sie ihm gefielen und stellte sie ins Internet. Der Beginn einer der spektakulärsten Karrieren in der Geschichte der Fotografie.

Zeit ihres Lebens verdingte sich Vivian Maier bei diversen Familien als Kindermädchen und fotografierte alles, was um sie herum passierte: vor allem Kinder, Menschen auf den Strassen von New York und Chicago, sich selbst. Ihr fotografisches Werk war bis dahin komplett unbekannt. Seit ihrem Tod lagerte es in Kisten und Kartons, zum Teil noch unentwickelt, in einer Lagerhalle. Die herausstechende Qualität ihrer Arbeiten, ihr genauer Blick für den Moment, dessen Komik und Tragik, war relativ schnell konstatiert. Aber, was für ein Mensch war diese Frau, die Tausende Fotos machte, kurze Filme drehte, mit ihrem Kassettenrekorder Leute zum Zeitgeschehen interviewte, aber niemals etwas davon veröffentlichte? Diese Frage stellt Maloof in seiner Dokumentation in den Mittelpunkt und versucht, anhand von Interviews mit unzähligen Weggefährten Maiers dem Mysterium auf den Grund zu gehen.

Finding Vivian Maier behandelt ein Klassikersujet des Dokumentarfilms: wie einen Verstorbenen im Film zum Leben erwecken, wie sein Leben und seine Persönlichkeit dem Zuschauer näherbringen? Im Fall von Vivian Maier haben ihre Fotografien als Zeugen überlebt. Anstatt diese zu befragen, präsentiert der Film einen Marathon an Talking Heads. Die Statements von ehemaligen Ziehkindern, Freunden, Arbeitgebern geben sich im Schnelldurchlauf das Mikrofon in die Hand. Sie berichten von Vivians Besessenheit Zeitschriften und alte Dinge zu sammeln, ihre Art sich zu kleiden, Kinder zu schikanieren, Reflexionen über ihren französischen Akzent, selbst Probleme des Kunstmarkts werden diskutiert.

Dazwischen sehen wir immer wieder einzelne Fotografien der Porträtierten, jedoch ohne je die Zeit zu bekommen, diese in kurzer Ruhe anzuschauen, geschweige denn zu entdecken. Weder Statements noch Bilder erhalten im Film Raum zum Atmen, zu kurzem Nachwirken. In seiner löblichen Beflissenheit das Geheimnis von Vivian Maier zu lüften, vergisst Maloof die Poesie und den Existenzialismus der Arbeiten seiner Porträtierten sprechen zu lassen. So stellt sich mehr und mehr der Eindruck ein, dass da jemand ein herausforderndes Sujet entdeckt hat, dem er allerdings wenig an künstlerischer Vision und Kreativität entgegenzusetzen hat und der Trubel um die Künstlerin lediglich dem Marketing-Zweck der Bekanntmachung dient. Zumal sich der fotografische Nachlass von Vivian Maier heute komplett im Besitz des Filmmachers befindet. Dank ihm sind diese einmaligen Momente des Lebens nun für jedermann zugänglich. Die Chance diese Fotos zu entdecken, sollte man sich nicht entgehen lassen.

18.02.2024

3

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vor 10 Jahren

Top Doku über ein unwahrscheinlich grosses, nie gezeigtes Schaffen einer ganz speziellen Frau und Fotografin


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