Los lobos Mexiko, USA 2019 – 94min.

Filmkritik

Ein Wolfsrudel in der Fremde

Gaby Tscharner
Filmkritik: Gaby Tscharner

Die intime Geschichte einer Familie aus Mexico und dem harten Leben, das die alleinstehende Mutter und ihre zwei kleinen Buben in den USA führen, ist ein herzzerreissender Film, der die Schicksale von Tausenden von Immigranten beschreibt.

Lucìa (Martha Reyes Arias) reist mit ihren zwei Söhnen, dem 8-jährigen Max (Maximiliano Nájar Márquez) und dem 5-jährigen Leo (Leonardo Nájar Márquez), mit einem Touristenvisa von Mexico in die USA ein, unter dem Vorwand, Disneyland besuchen zu wollen. Die Realität ist aber: Die alleinstehende Mutter will mit ihren Kindern in die USA auswandern. In der Kleinstadt Albuquerque sucht sie nach einer Bleibe und Jobs, die sie als illegale Immigrantin ausüben kann. Das bedeutet, die beiden Jungs sind den ganzen Tag alleine in einer vergammelten, unmöblierten Kleinstwohnung, nur mit etwas Ölkreide zum Malen und einem Kassettenrekorder, auf dem die Mutter sowohl Andenken an die Familie in Mexiko als auch Englischlektionen für ihre Söhne aufgenommen hat. Als der Disneytrip immer weiter aufgeschoben wird, beginnt Max zu rebellieren.

Ähnlich wie Alfonso Cuaróns Roma, ein Tribut an sein ehemaliges Kindermädchen, basiert auch Los Lobos auf wahren Begeben im Leben des Filmemachers Samuel Kishi, erzählt aus dem Blickwinkel des älteren Sohnes Max. Die beiden Jungen gehen nicht zur Schule und aus Angst, ihnen könnte etwas zustossen, verhängt ihre Mutter Lucia zahlreiche Regeln. Die Buben dürfen z.B. den dreckigen Teppich des abgetakelten Wohnzimmers nur mit Schuhen betreten, Streitereien müssen mit einer Umarmung beendet werden und unter keinen Umständen dürfen sie ihre kargen vier Wände verlassen. Dieses Leben ist langweilig und erscheint den Kindern so ungerecht, dass Max seine Mutter fragt: “Warum gehen wir nicht einfach wieder nach Hause?”

Weder Lucia noch der Film beantworten diese Frage und das, was wir wissen, wird vom Auffassungsvermögen eines Achtjährigen gefiltert. So können wir über den Verbleib des Vaters der Buben zu Beginn nur spekulieren, denn Max weiss nur, dass er von einer Glühbirne abgeholt wurde. Eine Glühbirne, die der Junge in seine gezeichneten Abenteuer von Ninja-Wölfen einbaut, die ihm dank seiner Fantasie eine Flucht aus seinem tristen Leben ermöglichen. Aus einer der wenigen Geschichten, die Lucìa erzählt, erfahren wir, woher die Narbe an ihrem Körper kommt und dass ihr Vater etwas damit zu tun hatte. Der Grossvater der Jungs ist auf dem Kassettenrekorder zu hören, wie er Gitarre spielt und auf ein Klopfen an der Türe antwortet. Erst zum Schluss des Films sind wir in der Lage, all die Puzzleteile, die uns der Film unsortiert präsentiert, zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Als Max klar wird, dass der Ausflug ins Disneyland wohl ein unerfüllter Traum bleiben wird, lehnt er sich gegen die Regeln der Mutter auf und verlässt die engen vier Wände, um mit den Nachbarsjungen Fussball zu spielen. Diese Ausflüge haben für die Familie verheerende Konsequenzen, aber Lucìa und ihre Söhne verlieren nie die Hoffnung. Los Lobos zeigt die Lichtblicke in diesem Leben, wie z.B. die Grosszügigkeit der Nachbarin Mrs. Chan (Cici Lau), die sich den einsamen Buben annimmt und ihnen Mahlzeiten zubereitet. Oder die unerwartete Reue eines Nachbarsjungen, die für Max und seine Familie zu einem der ersten unbeschwerten Tage in der Fremde führt.

Für die Mehrheit aller Immigranten sind die USA alles andere als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern stellen ein Leben in einem schäbigen Apartment und das Abrackern in zwei oder drei unterbezahlten Jobs dar. Der Film will aber nicht die Einwanderungspolitik der USA kritisieren. Los Lobos ist die Erinnerung an eine schwierige Kindheit, aber der Film fühlt sich wie ein Akt der Dankbarkeit an: Für die Mutter, die ihr Leben für ihre Söhne geopfert hat und die Mitmenschen, die seine Kindheit geprägt haben. Es ist ein sensibler Film, voller Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Situation, in der sich seine Figuren befinden. Schicksale, wie sie sich so oder ähnlich in den USA jeden Tag ereignen.

16.04.2021

4

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 3 Jahren

Ein stiller Film, der nachdenklich stimmt. Anderswo aber traurige Realität. Aber auch in der Schweiz wuchsen Kinder der Saisonniers so auf. Bei der Cineman-Filmkritik gemerkt, wie sehr ich den Besuch des Disneylands aus der Perspektive der Buben verstanden habe. Dass das nur vorgeschoben war zur Erlangung des Touristen-Visums... Nicht alle Puzzleteile haben sich mir erschlossen, aber das passt zum Film: Es kann sich in solcher Welt nicht einfach alles fügen.Mehr anzeigen


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