CH.FILM

The Brain Schweiz 2020 – 100min.

Filmkritik

Vision und Wirklichkeit – von Mensch und Maschine

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Eine Reise ins Innere, nicht zum Mittelpunkt der Erde, sondern ins Hirn. Dokumentarfilmer Jean-Stéphane Bron («Mais im Bundeshuus») offenbart fünf neue Annäherungs- und Entwicklungsversuche, An- oder Einsichten über Hirn und künstliche Intelligenz. Eine anspruchsvolle und denkwürdige Einladung.

Alles dreht sich ums Hirn oder auch Gehirn (lateinisch Cerebrum), dem Steuerungszentrum unseres Nervensystems. Man bedenke: Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen beträgt die Länge aller Nervenbahnen eines Erwachsenen rund 5,8 Millionen Kilometer, das entspricht laut Wikipedia dem 145fachen Erdumfang. Doch davon ist in Brons Forschungsreise weniger die Rede. Hier bekommt man Einblicke in Ideen, Projekte, Forschungsarbeiten.

Vater und Sohn Pouget befassen sich mit künstlicher Intelligenz (KI). Alexandre P., der Vater, glaubt fest daran, menschliches Bewusstsein (Intelligenz) entwickeln und nachbauen zu können. Sein Sohn Hadrien, der in Oxford studiert ist skeptisch und denkt einen Schritt weiter. Er macht sich Gedanken über Auswirkungen von KI. Was, wenn KI zum Selbstläufer wird und eher Angst denn Sicherheit bewirkt?

Christof Koch in Seattle weiss, dass sein Hund Ruby sterben wird (Krebs) und wünscht sich eine Kreatur, die ihn ersetzt. Kann es Felix (mit 120 Elektronen im Hirn) werden? Neurowissenschaftler Niels Birbaumer arbeitet in München und in Venedig. Er versucht, dem vollständig gelähmten Patienten Fabio mittels Computer-Interaktionen Kommunikationswege zu ermöglichen, und bringt Erstaunliches zustande.

David Rudrauf in Genf will Maschinen schaffen, die «frei» sind. Er, der werdende Vater, will keine neuen Kinder kreieren, aber doch Kreaturen mit künstlichem Bewusstsein ausrüsten. Aude Billard, Roboter-Spezialistin, lebt am Genfersee. Sie möchte Roboter mit menschlichen Fähigkeiten ausstatten, zum Beispiel eine Hand nachbilden. Leichter gedacht als getan.

Jean-Stéphane Bron beobachtet und beschreibt fünf Szenarien, fünf Modelle, auch Ansichten und Haltungen. Es geht ihm um das Spannungsfeld von Natur und Künstlichkeit und meint: «Die Idee war, vom berechnenden Gehirn, das sich auf die Mathematik konzentriert, zur Hand, zur Geste zu gelangen, mit der Vorstellung, dass es keinen Gedanken ohne Handlung, oder keine Handlung ohne Gedanken gibt.»

Sein denkwürdiger, höchst anspruchsvoller Film lotet die Spannbreite zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, Mensch und Maschine aus. Das ist nicht nur spannend zu sehen und zu erleben, sondern auch befremdlich und doch sehr wirklichkeitsnah. Wir bedienen uns diverser Maschinen (Techniken), fürchten aber auch, dass sie uns eines Tages überlegen sein und beherrschen könnten – so wie es Stanley Kubrick bereits 1968 meisterhaft in seiner Filmversion «2001: Odyssee im Weltraum» beschrieben hat.

28.01.2021

4

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