TÁR USA 2022 – 158min.

Filmkritik

Tár

Filmkritik: Damien Brodard

Todd Fields Film «Tár», der sich um das Leben der fiktiven Dirigentin Lydia Tár und ihre privaten und beruflichen Probleme dreht, wurde kürzlich für sechs Oscars nominiert. Der Film könnte der Hauptdarstellerin Cate Blanchett ihren dritten Oscar einbringen – zurecht?

Der Film beschreibt das fiktive Leben der Dirigentin Lydia Tár (Cate Blanchett), der ersten Frau an der Spitze eines grossen Orchesters in Deutschland. Zwischen der Leitung der Proben für eine Aufnahme und ihrem Privatleben verstrickt sich Tár in eine Abwärtsspirale, die sie zwischen öffentlichen Skandalen und privaten Familienproblemen hin und her wirbelt.

Laut Aussage des Regisseurs Todd Field wurde die Rolle der Lydia Tár nur für eine einzige Schauspielerin, Cate Blanchett, geschrieben. Im Falle einer Ablehnung wäre der Film wahrscheinlich nie entstanden. Wenn es tatsächlich etwas gibt, das man dem Film nicht nehmen kann, dann ist es seine völlige Hingabe an die Figur der Dirigentin und ihre Darstellerin. Cate Blanchett ist in jeder Szene zu bewundern, trägt den Film souverän auf ihren Schultern und liefert eine höchst beeindruckende Leistung ab. Kraft, Charisma, aber auch Ängste und Obsessionen - die australische Schauspielerin setzt sich voll ein, um ihrer Figur so viele Nuancen wie möglich zu verleihen. Angesichts dieses meisterhaften Abstiegs in die Hölle gelingt es einigen Nebenrollen, sich Raum zu verschaffen, darunter der Französin Noémie Merlant, die nach und nach die Stufen des internationalen Kinos erklimmt.

Die Regie unterstützt eine solche Leistung mit sehr langen Einstellungen, die dem Schauspiel viel Raum geben. Diese Fokussierung führt jedoch zu einem sehr langsamen Tempo und einer Kälte, die die Zuschauer auf dem falschen Fuss erwischen könnte. Wenn die Inszenierung und die Kamera mit der kalten und autoritären Protagonistin übereinstimmen, wird der Film umso strenger. Selbst die wenigen Sequenzen, in denen das Orchester dirigiert wird, wirken trotz Blanchetts atemberaubendem Energieaufwand recht farblos. Es scheint, als hätte sich Todd Field an ein schwerfälliges und langatmiges Werk gewagt, aber gerade dadurch gelingt es ihm, eine Schauspielerin in den Mittelpunkt zu stellen, die sich in einem Zustand der Erhabenheit befindet.

Übersetzung aus dem Französischen durch Maria Engler

23.02.2023

3

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Kommentare

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rialtobe

vor einem Jahr

Grossartige Dialoge, Story, Cate Blanchet, Ästhetik. Authentische Milieustudie. Lange ist es her, dass wir uns soviel über einen Film, die Gesellschaft, Klassik-Szene unterhalten haben. Absolut zu empfehlen.


caravaggio

vor einem Jahr

Ein verstörender und überflüssiger Film.

Inhalt: Field hat die Chance verpasst ein würdiges Bild einer starken Frau in einer absolut von Männern dominierten Berufsszene zu zeichnen. Dafür nutzt er alle abgelutschten (männlichen) Klischees und kombiniert sie mit neuen zeitgenössischen, um ein verstörendes Bild einer fiktiven, narzisstischen, lesbischen Dirigentin nach männlichem Stereotyp zu kreieren. Ein Unbild, dass es so (noch) kaum geben kann, egal. Macht ist Macht. Kunst ist Kunst. ..bzw. eigentlich ist alles natürlich eine Satire, die gerade durch den Rollentausch eine tiefere Diskussion anregen soll! Finde ich nicht!

Schauspiel: Ja, Blanchett ist omnipräsent - es gibt wohl keine Szene ohne sie. Die Kamera klebt an ihr, so dass wir ihr Schauspiel bewundern (müssen). Trotzdem wird sie nicht lesbarer, die Figur nicht weicher, nicht transparenter. Das liegt wohl auch an der Rolle, die scheinbar kaum Weichheiten erlaubt. Schade.

Schnitt: Anfänglich sind die Szenen lang, Dialoge ausufernd, später werden sie immer kürzer und nur noch schablonenhaft gezeichnet. Grundsätzlich wird kaum etwas ausgesprochen, Wichtiges nur angedeutet. Der Zuschauer ist angehalten, sein Verständnisnetz selbst zu spinnen. Einige Kritiker empfehlen, den Film mehrmals zu sehen. Nichts läge mir ferner!

Wie sagte die einzige Stardirigentin Marin Alsop, die als erste Frau ein grosses US-Orchester dirigierte (und irgendwie als «Vorbild» für die Figur betrachtet werden muss) zum Film: "I was offended as a woman, I was offended as a conductor, I was offended as a lesbian." “To have an opportunity to portray a woman in that role and to make her an abuser—for me that was heartbreaking.”

Mark Swed, Kritiker für klassische Musik bei der Los Angeles Time nannte den Film "einen bösartigen Horrorfilm", "der mehr an Fake News als an Fiktion erinnert".

Ich stimme beidem zu.. und fühle mit Marin Alsop !Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor einem Jahr


tongy

vor einem Jahr

Ein Wuchtiger Film mit einem sensationellen Ensembles.
Da hört und schaut man einfach gerne zu.
Da kann man sich die Geschichte ein bisschen selber zusammen basteln.
Das ist großartiges Kino das reinknallt
Und nachhalt.


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