CH.FILM

Die Anhörung Schweiz 2023 – 80min.

Filmkritik

Eine riesige Ungeheuerlichkeit

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Lisa Gerig lässt vier in der Schweiz sich um Asyl Bewerbende zusammen mit Mitarbeitenden des Staatssekretariats für Migration (SEM) ihre Anhörung vor laufender Kamera nachspielen. Das Resultat ist ein aufrüttelnder Film, der spätestens als im zweiten Teil die Rollen vertauscht werden, das Schweizer Asylverfahren selber infrage stellt.

Zwei Frauen und zwei Männer, die sich in der Schweiz um Asyl bewerben, spielen zusammen mit Mitarbeitenden des SEM noch einmal die Anhörung durch, bei der sie die Gründe für ihre Flucht möglichst “glaubwürdig und widerspruchsfrei” schildern sollten. Sie erzählen dabei ihre eigenen Geschichten, die ihnen gegenübersitzenden Interviewenden aber sind im Film andere als in Wirklichkeit. Im zweiten Teil des Films werden die Rollen von den Fragenden und Befragten – und damit auch die Machtverhältnisse – getauscht.

Wie Lisa Gerig vorging, um vier mit negativem Entscheid konfrontierte Asylsuchende zu überzeugen, ihre Anhörung vor laufender Kamera nochmals nachzuspielen, stellt ihr Film nicht klar.

Er stellt allerdings klar, dass diese vier Menschen gute Gründe für ihre Flucht hatten. Und dass sie denkbar schlecht vorbereitet waren auf diesen Moment, in dem sie einem fremden Menschen möglichst widerspruchsfrei ihre persönliche Notlage schildern sollten, damit dieser über sie und ihr Gesuch urteilen kann.

Die Settings, in denen die Anhörungen stattfinden, sind nüchtern. Das Vorgehen ist klar reglementiert. Befragende, Protokollführende und Übersetzende unterstehen der Schweigepflicht. Dennoch lässt der Film vom ersten Bild an ins Auge springen, was an solchen Anhörungen – und damit am ganzen Asylverfahren – nicht stimmt bzw. ungeheuerlich ist: Ein Mensch kann aufgrund seiner Position allein basierend auf seiner persönlichen Einschätzung entscheiden, ob er das, was ihm von einer anderen Person erzählt wird, für glaubwürdig hält oder nicht.

22.01.2024

4

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Kommentare

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Moser

vor 7 Monaten

Bester Dokumentarfilm, sehr wichtiges Thema, gute Aufklärung


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