CH.FILM

Unser Vater Schweiz 2023 – 73min.

Filmkritik

Der umtriebige Priester

Peter Osteried
Filmkritik: Peter Osteried

«Unser Vater» von Regisseur Miklós Gimes ist eine interessante Dokumentation, weil sie sich nicht nur mit der Sexualmoral der Kirche befasst, sondern auch mit Vertuschung und dem Umstand, dass die Gesellschaft der 1950er Jahre noch eine gänzlich andere als die heutige war.

Toni ist Priester – und attraktiv. Aber nicht nur das. Er ist auch ein Charmeur. Ein Verführer. In der Schweizer Provinz der 1950er Jahre schwängert er mehrere Frauen. Erst nach dem vierten Kind wird ihm vom Bischof das Amt entzogen, woraufhin er in den Bergen ein Hotel übernimmt und weitere Nachkommen zeugt. Nach dem Tod des Casanovas im Priestergewand lernen sich seine Kinder kennen und sprechen miteinander über eine vaterlose Kindheit und das eiserne Schweigen jener Zeit, das nun endlich gebrochen wird.

Als der Journalist und Regisseur Miklós Gimes erstmals von der Geschichte dieses Priesters hörte, der eine ganze Reihe von jungen Frauen verführt und geschwängert hat, war er nicht sicher, ob das der Stoff für einen Film sein könnte. Gerade über die Sexualmoral der Katholischen Kirche gab es schon einige Dokumentarfilme und Berichte, die die dunklen Auswüchse des Zölibats und die Vertuschungsmethoden des Klerus behandeln. Aber dies war eine andere Geschichte. Es ist natürlich auch die Geschichte des Priesters, vor allem aber ist es die Geschichte seiner Kinder, die ohne einen Vater aufwuchsen, lange auch gar nicht wussten, wer ihr Vater ist, und sich nach dessen Tod kennen lernten.

Dem Film gelingt es dabei auch, dieses merkwürdige Gefühl zu transportieren, das diese Menschen empfunden haben müssen. Fremde zu treffen, mit denen man so viel teilt, und die auf dieselben Erfahrungen zurückblicken. Das ist ein Teil dieses interessanten Dokumentarfilms, der andere ist schlicht und ergreifend, dass er auch als Porträt der Gesellschaft der 1950er dient, in denen über Missstände geschwiegen wurde. Nur nicht anecken, bloss keinen Staub aufwirbeln, nur nicht selbst in den Fokus geraten – das ist eine Denkweise, die es natürlich auch heute noch gibt. Aber anders als damals sind mehr Menschen bereit, zu reden. Ein Film wie «Unser Vater» trägt dazu bei, das Gespräch nicht abreissen zu lassen.

03.04.2023

4

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Kommentare

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Tom29

vor einem Jahr

Erschütternd, was da vorgefallen ist. Der Film ist ein wichtiges Dokument jener Ereignisse. Es braucht die volle Konzentration, um die Namen aller im Kopf zu behalten. Sehr sehenswert.


Filmenthusiast

vor einem Jahr

Muss man gesehen haben. Ich bin froh, dass die Doku gemacht wurde und diese Geschichte ans Licht kam.

Mein Mitgefühl für seine Kinder.

Ganz grusig dieser Pfarrer / Gastwirt. Ich hoffe, dass keine Kirche und Gasthof je wieder seine Lieder spielt.

Zuletzt geändert vor einem Jahr


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