Artikel15. April 2024 Cineman Redaktion
Vietnamkrieg aus anderer Sicht: 5 Gründe, «The Sympathizer» zu schauen
Helikopterattacken zu Wagnermusik, Abwürfe von Napalmbomben, Soldaten am psychischen Anschlag. Hollywood erzählt Geschichten über den Vietnamkrieg für gewöhnlich aus der Sicht der USA. Dass «The Sympathizer» nun den Blickwinkel umdreht und die Schicksale der vietnamesischen Bevölkerung beleuchtet, ist überfällig und spannend. Wir nennen fünf Gründe, weshalb es sich lohnt, «The Sympathizer» anzuschauen.
1. Bekannte Geschichte, neu erzählt
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Viet Thanh Nguyen ist «The Sympathizer» einerseits Spionagethriller, andererseits politische Satire. Die 7-teilige Serie wirft einen ungewohnten Blick auf den Vietnamkrieg, der übrigens von Vietnames:innen der amerikanische Krieg genannt wird. «The Sympathizer» folgt einem namenlosen Protagonisten (Hoa Xuande), der nur Captain genannt wird. Der Captain ist ein Spitzel für den Vietcong, der im Dienst eines machthungrigen, südvietnamesischen Generals (Toan Le) jahrelang das feindliche Lager ausspioniert.
Aber anstatt nach dem Sieg der Vietcong mit seinen Genoss:innen zu feiern und sein Heimatland neu aufzubauen, wird er mit dem General ins Exil in die USA geschickt, wo er zwischen seiner politischen Überzeugung und dem American Way of Life hin und hergerissen wird. Adaptiert vom koreanischen Filmemacher Park Chan-wook («Oldboy», «Decision to Leave») und dem Showrunner Don McKellar («Die Stadt der Blinden») wird hier die Kamera auf vietnamesische Erfahrungen auf beiden Seiten dieses Bürgerkriegs gerichtet.
2. Alles hat zwei Seiten
«Alle Kriege werden zweimal geführt, das erste Mal auf dem Schlachtfeld, das zweite Mal in der Erinnerung.» Mit diesen Worten schwelgt sowohl der Roman als auch die Serie «The Sympathizer» in der Dualität dieses Konflikts.
Der Captain, Sohn einer vietnamesischen Mutter und eines französischen Kolonialisten, wird zum Doppelagenten, der sich auch zwischen seinen besten Freunden aus der Kindheit, dem südvietnamesischen Bon (Fred Nguyen Khan) und dem Kommunisten Man (Duy Nguyen) hin- und hergerissen fühlt. «Du bist nicht die Hälfte von etwas, sondern das Doppelte von Allem», tröstete ihn seine Mutter als Kind, nachdem der Captain auf dem Schulhof verprügelt wurde, weil er ein Halbblut sei.
3. Die (schein)heilige Vierfaltigkeit
Der frischgebackene Oscar-Gewinner Robert Downey Jr. verkörpert in «The Sympathizer» verschiedene Rollen, die alle gewisse Aspekte von amerikanischer Arroganz, Selbstgefälligkeit und Imperialismus darstellen. Zuerst treffen wir Claude (sicherlich ein Deckname), einen zwielichtigen CIA-Agenten, der während des Kriegs und noch lange danach alle Fäden in der Hand hält.
In seinem Exil in Los Angeles arbeitet der Captain für den Universitätsprofessor Dr. Avery White Hammer, einen fanatischen Orientalisten und gelegentlichen Rassisten, der seinen Gästen an Partys gerne einen netten Vorzeigeasiaten präsentiert. Wir lernen auch Niko Damianos kennen, einen Hollywood Star und Regisseur von Actionfilmen, der den Captain für sein cineastisches Vietnam-Epos als Authentizitätsexperten anheuert. Und schliesslich spielt Robert Downey Jr. den Kongressabgeordneten Ned Goodwin, einen erzkonservativen und korrupten Politiker, der ihn und andere Exil-Vietnamesen für seine Zwecke missbraucht.
Wie in «Oppenheimer» verbirgt sich Downey auch hier hinter aufwändigen Masken, die im Gegensatz zu seiner Oscar-Rolle aber alles andere als subtil sind. Seine Darstellung grenzt bisweilen ans Groteske, vor allem Professor Hammer ist eine Karikatur, die in dieser Form nur als Metapher für amerikanische Ignoranz anderer Kulturen gegenüber funktioniert.
4. Der Film im Film
In Episode 4 liefert der brasilianische Regisseur Fernando Meirelles («Der ewige Gärtner») Satire pur, gängige Hollywood-Klischees werden auf die Schippe genommen. Die Folge weist aber auch auf ein tiefer liegendes Problem hin: die bis heute andauernde Diskriminierung asiatischer Schauspieler:innen.
Am Set von «The Hamlet», Damianos neuem Action-Streifen, trifft der Captain den einzigen asiatischen Schauspieler dieser Produktion, der eine Sprechrolle hat und fragt ihn: «In welcher Rolle habe ich dich zuletzt gesehen?» Der Schauspieler (John Cho) koreanischer Abstammung antwortet: «Ich war der chinesische Eisenbahnarbeiter, der von Ernest Borgnine erstochen wird und der japanische Soldat, den Sinatra erschiesst.» Und als der Captain Damianos (Robert Downey Jr.) darauf hinweist, dass alle seine Kompars:innen Chines:innen und keine Vietnames:innen seien, wird er und nicht die Besetzungschefin auf die Suche nach vietnamesischen Extras geschickt.
5. Grossartiges asiatisches Ensemble
Ohne die Starpower von Robert Downey Jr. hätte es «The Sympathizer» wohl schwer gehabt, von einem Studio oder Streamingservice grünes Licht zu kriegen. Das Ensemble rund um Downey besteht aber aus äusserst talentierten asiatischen Schauspieler:innen. Wohl die Bekannteste, aber leider etwas selten zu sehende ist Sandra Oh («Killing Eve», «Grey's Anatomy»), die Hammers japanisch-amerikanische Sekretärin und gelegentliche Freundin des Captains spielt.
Neben Dame Kieu Chinh, einer vietnamesische Schauspielerin, die mit Filmen wie «The Joy Luck Club» in Hollywood Karriere gemacht hat, sticht in erster Linie der Newcomer Hoa Xuande, ein australischer Schauspieler vietnamesischer Herkunft, als der Captain heraus, wenn er sich z.B. mit dem General in einem von Fliegen übersäten Plumpsklo streitet. Toan Le als General fasst das Leben vietnamesischer Geflüchteter im US-Exil mit einer der besten Zeilen der Serie zusammen: «In Amerika konsumieren sie erst dein Herz und beklagen sich dann über Sodbrennen.»
4 von 5 ★
«The Sympathizer» ist seit dem 15. April auf Sky Show zu sehen.
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