Filmkritik
Liebe in Schwarzweiss
Seit Tandem und Le Mari de la coiffeuse kennen wir die schönen Ausreisserinnen von Patrice Leconte, umduftet von Orientalik und betörender Sinnlichkeit. In La fille sur le pont hat er mit Vanessa Paradis eine neue Art von Schönheit für sich entdeckt. Kurzgeschoren und im Spiegel von Daniel Auteuils Charisma verliert Vanessa Paradis viel vom Nymphchen vergangener Tage und versprüht meisterhaft ihren französischen Charme leicht naiver Prägung.
In der hinreissenden Eröffnungssequenz erzählt Adèle während sechs Minuten ihre Lebensgeschichte, in der die horizontalen Passagen die meiste Erzählzeit und die meisten Tränen kosten. Von Mann zu Mann, von Bett zu Bett, die junge Frau berichtet von den zahlreichen Folgen eines pubertären Fehlschlusses: Wer noch nicht hat, ist noch nicht. Die Szene beginnt ernst und kippt langsam ins lächerliche, je abgründiger Adèles Schicksal wird. Schon in den ersten Minuten zeigt Patrice Leconte, wie sehr er die Kunst der subtilen Übertreibung beherrscht. "Eine einzige Aufnahme. Am Ende hatte ich Tränen in den Augen. Ich habe Vanessa in die Arme geschlossen, war glücklich".
Adèle will sich das Leben nehmen. Nachts springt sie von einer Pariser Brücke in die Seine. Doch ein anderer springt ihr nach und rettet sie: Gabor, Messerwerfer ohne Assistentin. Er verpflichtet Adèle für den selbstmörderischen Job und versichtert ihr, niemals etwas mit einer seiner Assistentinnen gehabt zu haben und dieser Maxime treu bleiben zu wollen. Wer könnte schon Messer werfen, wo Gefühle herrschen? Natürlich wird die erotisierende Macht der auf Adèle eindringenden Messer nicht ohne Folgen bleiben. Aber die Geschichte geht unkonventionelle Wege. Als man Adèle und Gabor schon auf dem unvermeidlichen Gang ins Bett glaubt, tun sie etwas ganz anderes. Sie stellt sich an die Wand, und er wirft mit seinen Messern nach ihr - dem lautmalerischen Begleitstöhnen zufolge kein geringerer Genuss, doch vielleicht nicht zur Nachahmung empfohlen. Zahlreich sind die Szenen, in denen uns Leconte auf koventionellem Parkett Walzer tanzen lässt, um dann plötzlich den Ton abzudrehen.
Warum Leconte den Film in schwarzweiss gedreht hat, will er nicht erklären. Doch ist man ihm für die Farbensparsamkeit sehr dankbar. Endlich darf man sein Auge mal wieder an Kontrasten üben und kann sich von diversen Farbgewittern anderer Filme erholen. Dass er uns das Vergnügen macht, einen Regenbogen in schwarzweiss zu bewundern, setzt einer wunderbar ironischen Grundstimmung die Krone auf. Da hat einer beim Drehen seinen Spass gehabt, man merkt es in fast jeder Szene. Und mit Daniel Auteuil ist ihm das Engagement eines Schauspielers gelungen, der vielleicht gerade in schwarzweiss seine farbigsten Seiten zeigt. Die grossen schwarzen Augen strahlen aus dem bleichen Gesicht wie dunkle Monde - es ist wahr, so pathetisch es klingen mag - und immer bevor ein Messer seine Hand verlässt, verlässt es sein Auge mit grösserer Schärfe. Die Geschichte ist an sich simpel, die grossartigen Bilder und witzigen Dialoge machen sie zu einem Genuss. Und was will man mehr - "La fille sur le pont, ça n'est q'un film. Mais si vous saviez comme je l'aime...". Patrice Lecontes Worte; man darf sie nachsprechen.
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Kommentare
Eine spannende Auseinandersetzung und Beziehungsgeschichte zwischen dem Messerwerfer und seinem vermeintlichen "Opfer".
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