Not One Less China 1999 – 106min.

Filmkritik

Nicht einer darf fehlen!

Filmkritik: Wojciech Simson

Nach aufwändigen Inszenierungen wie "Die rote Laterne" (1991) oder "Shanghai Serenade" (1995) besinnt sich der chinesische Star-Regisseur Zhang Yimou wieder auf das Einfache. Mit unaufdringlichen aber eindringlichen Bildern erzählt er die simple Geschichte einer Aushilfslehrerin in einem chinesischen Dorf. Die hautnahe und einfühlsame Darstellung chinesischer Alltagswirklichkeit gewann den Hauptpreis der Filmfestspiele von Venedig 1999.

Keine Spezialeffekte, keine Kulissen, keine Schminke - nein, nicht einmal Schauspieler, sondern Laien, die vor der Kamera genau das darstellen, was sie im Alltag auch sind: Der Dorfvorsteher eines chinesischen Bergnests, ein Dorfschullehrer, rotznäsige Lausebengel, die widerwillig die Schulbank drücken.

Auch die Handlung so unspektakulär wie die Menschen: Der Lehrer will seine todkranke Mutter besuchen und der Dorfvorsteher kann keinen Ersatz finden, ausser die etwas verstockte 13-jährige Sekundarschülerin Wei Minzhi. Sie soll für 50 Yuan (etwa 10 Fr.) den Laden einen Monat lang schmeissen, und der Lehrer will ihr noch 10 Yuan aus der eigenen Tasche drauflegen, wenn sie es schafft, die immer kleiner werdende Klasse zusammenzuhalten. Wei Minzhi will sich das nicht entgehen lassen, versucht ihr Regime über die Schüler durchzusetzen, sperrt sie im windschiefen Schulhaus ein, damit sich keiner vom Unterricht entfernt. Doch das Unvermeidliche geschieht: Wie schon viele vor ihm erscheint eines Morgens der 10-jährige Zhang Huike nicht in der Schule; seine verschuldeten Eltern haben ihn zur Arbeit in die Stadt geschickt. Wei Minzhi will sich das nicht einfach gefallen lassen, will ihm nach, solidarisiert und mobilisiert ihre Schüler, um die 20 Yuan für die Busfahrt zusammenzukratzen. - Doch vergebens. Wei Minzhi lässt sich dennoch nicht beirren und reist per Anhalter in die Stadt. Dort angekommen, ist sie aber ebenso verloren, wie ihr verschollener Schüler. Hier nützen ihr keine Lautsprecherdurchsagen am Bahnhof, keine selbstgepinselten Plakate - der kleine Huike ist verloren wie die Nadel im Heuhaufen...

Zhang Yimou, der Altmeister des chinesischen Films, hat hier ein kleines Stück Gegenkino geschaffen. In schlichten, klaren Bildern führt er chinesische Wirklichkeit vor Augen: Die schrillen Gegensätze von Armut und Wirtschaftsboom, Rückständigkeit und Modernisierung, Kinderarbeit und Freizeitindustrie. Dies alles ohne Spektakel, ohne Vorwurf, ohne mahnenden Zeigefinger, sondern mit ungewohnter Sachlichkeit, Detailtreue und einem Herz für die einfachen Menschen. So entsteht ein Film von grosser Intensität und Plastizität, erdichtet aus der Poesie des Alltäglichen.

19.02.2021

4

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